21.06.2025

Abschlussrede von Bundesrat Beat Jans

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Mitglieder des Flüchtlingsparlaments

Vor einem Jahr war ich schon einmal hier. Damals durfte ich die Flüchtlingssession eröffnen, heute ist es an mir, den Schlusspunkt zu setzen.

Den ganzen Tag haben Sie hier im Berner Rathaus diskutiert, debattiert, Meinungen aneinander gerieben, Visionen skizziert und Forderungen formuliert. Was Effizienz und Qualität Ihrer Parlamentsarbeit angeht, müssen Sie sich vor dem Grosse Rat und dem Stadtrat, die sonst in diesem Saal politisieren, nicht verstecken.

Sie werden auch gemerkt haben, dass Parlamentsarbeit anspruchsvoll ist. Es braucht Ausdauer und Geduld. Es ist wie das Sägen eines dicken Balkens – mit einem Sackmesser.

Und das in einer Welt, in der gerade mit Kettensäge, Zoll-Hammer und Kriegsbeil hantiert wird – ohne Rücksicht auf Verluste: Demokratie und Rechtsstaat werden bedrängt, Minderheiten stigmatisiert, Empathie und Solidarität als Schwäche verhöhnt. Krisen, Konflikte und Kriege, wo man hinschaut. Und dann ist da ja auch noch der Klimawandel…

Einige unter Ihnen werden jetzt wahrscheinlich denken: Willkommen in unserer Welt! Das kennen wir alles, und zwar aus eigener Erfahrung. Es stimmt natürlich: Uns in der Schweiz geht es noch immer beneidenswert gut. Unsere Demokratie und unser Rechtsstaat funktionieren, wir leben in Wohlstand und Sicherheit. Wir können den Menschen im verschütteten Walliser Dorf Blatten helfen, ohne deshalb bei der Entwicklungshilfe Gelder kürzen zu müssen. Wir können solidarisch sein, in der Schweiz und weltweit. Aber es gibt auch bei uns ungute Entwicklungen: Der Ton wird rauer und unversöhnlicher. Kompromissbereitschaft wird als Schwäche ausgelegt.

Migrantinnen und Migranten trifft der weltweite Backlash doppelt: Es gibt immer mehr Gründe zum Flüchten, gleichzeitig sind Geflüchtete immer weniger willkommen.

Hätte uns vor zehn Jahren jemand gesagt, was heute auf der Welt und auch in Europa los ist – wir hätten es nicht geglaubt. Unsagbares und Unsägliches wird wieder gesagt – laut: Wir müssen unsere Grenzen dichtmachen. Im Namen der Sicherheit. Wegen den Geflüchteten.

Das sagen manche auch im Bundeshaus. So, als wäre die Migrationspolitik so etwas wie die Hauptsicherung: Einfach festschrauben und alles ist wieder fix. Diese Politik ist doppelt verantwortungslos: Sie schürt – und enttäuscht – Erwartungen und untergräbt so das Vertrauen in Politik und Demokratie. Und sie tut das auf dem Buckel von Geflüchteten.

Nicht immer bleibt es Rhetorik: In den USA durchkämmt die Zollbehörde Städte, verhaftet Migrantinnen und Migranten und schafft sie aus. Auf der Stelle, ohne Prozess und ohne Gnade.

Als Justiz- und Asylminister reibe ich mir manchmal ungläubig die Augen – oder Ohren. Dann mache ich einen Schritt zurück. Worum, frage ich mich dann, geht es eigentlich in der Asylpolitik? Es geht nicht um Zahlen, Kriminalität oder Bürokratie – es geht um Menschen. Es geht darum, Menschen zu schützen. Damit das möglich ist, muss unser Asylsystem funktionieren und politisch getragen werden.

Ich weiss, dass ich das vor einem Jahr auch schon gesagt habe. Ich wiederhole es, weil Sie nicht alle dabei waren – und weil das so wichtig ist, dass man das gar nicht oft genug wiederholen kann. Frei nach Bill Clinton: «It’s the human, stupid!» Es geht um Menschlichkeit. Zur Menschlichkeit verpflichtet uns das Menschsein, genau wie unsere Bundesverfassung, die Menschenrechte und unsere humanitäre Tradition. Daran müssen wir unser Asylsystem ausrichten und daran müssen wir uns messen lassen.

Das ist meine Aufgabe als Asylminister, die ich sehr ernst nehme:

  • Eine Einschränkung des Familiennachzugs für vorläufig Aufgenommene konnten wir im Parlament zum Glück ganz knapp verhindern. Das war mir ein grosses Anliegen.
  • Wir haben heute schnellere Verfahren, weniger Pendenzen und weniger Sicherheitsvorfälle. Wenn Geflüchtete wissen, woran sie sind und sich sicher fühlen, bringt das Ruhe in die Bundesasylzentren. Das ist wichtig für die Menschen, gerade für die Kinder und Familien, die dort leben.
  • Wir schauen bei Asylsuchenden, die zu uns kommen, genau hin. Viele haben Schlimmes durchgemacht, Gewalt erlebt und Traumata erlitten. Das nehmen wir ernst, das ist wichtig für die Betroffenen und für die Gesellschaft.
  • Wir haben die medizinische und psychologische Betreuung der Menschen in den Bundesasylzentren verbessert und auch eine Anlaufstelle für rechtliche Fragen verankert.

Das sind Justierungen, die wir laufend vornehmen. Viel wichtiger aber ist, dass der Bundesrat auf meinen Antrag hin das zuletzt ausgesetzte Resettlement-Programm reaktiviert und bis Ende 2027 verlängert hat. Das ist ein wichtiger Schritt, weil wir damit die Verletzlichsten schützen können. In einem ersten Schritt planen wir die Aufnahme von rund 45 Flüchtlingen im zweiten Halbjahr 2025. Für 2026 und 2027 sieht der Bundesrat bis zu 400 Aufnahmen jährlich vor. Priorität hat die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Menschen, die vor Konflikten und persönlicher Verfolgung im Nahen und Mittleren Osten sowie entlang der zentralen Mittelmeerroute nach Europa fliehen.

Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Um jenen zu helfen, die verfolgt werden und unseren Schutz brauchen, müssen die europäischen Länder zusammenstehen. Darum will ich einige Worte zum Migrations- und Asylpakt der EU sagen. Er ist ein Bündel von Regeln für ein effizienteres und krisenresistenteres Migrations- und Asylsystem. Und erstmals enthält es einen Solidaritätsmechanismus, der die Länder entlasten soll, in denen besonders viele Flüchtlinge ankommen. Das ist auch im Interesse der Geflüchteten.

Wahrscheinlich löst das bei Ihnen keine spontane Begeisterung aus. Aber etwas wird häufig übersehen: Der Kern ist der Wille, die Herausforderungen der Migration solidarisch und gemeinsam zu bewältigen. Und das Bekenntnis des Bundesrates zu dieser Solidarität ist ein politischer Meilenstein.

Und noch etwas geht oft vergessen: Schengen und Dublin sind nicht einfach die Mauern der «Festung Europa». Sie sind auch die Garantie dafür, dass Schutzsuchende in Europa ein Asylgesuch stellen können und ein faires Verfahren bekommen.

Die EU wird den Pakt umsetzen, auch ohne die Schweiz. Dann können wir uns aber auf europäischer Ebene auch nicht mehr für die Einhaltung der Grundrechte starkmachen.

Wenn europäische Strukturen verlässlich funktionieren, stärkt das auch unser Asylsystem. Darum setze ich mich aus Überzeugung für den Pakt ein. Jetzt liegt der Ball beim Parlament.

Liebe Teilnehmende der Flüchtlingssession

Bei der Gesundheitspolitik reden Ärztinnen mit. Wenn es um die AHV geht, hören wir den Pensionierten zu. In der Landwirtschaftspolitik zählt das Wort der Bauern. Bei der Bankenregulierung bringen sich die Banken ein. Nur in der Migrationspolitik ist das anders: Man spricht zwar wir oft über Geflüchtete, aber seltener mit Ihnen.

Natürlich liegt das auch daran, dass Sie in unserer Demokratie weitgehend aussen vor bleiben und nicht mitbestimmen dürfen. Das Ausländerstimmrecht hat in der Schweiz, Sie wissen es, einen schweren Stand. Umso wichtiger und wertvoller sind Plattformen wie das Flüchtlingsparlament. Und umso wichtiger ist es, dass Sie ihre Stimme erheben, dass Sie sich und Ihre Erfahrungen einbringen. Denn eigentlich sind Sie die Fachleute.

Sie mögen – noch – nicht zu unserer Demokratie gehören, aber zur Gesellschaft und zur Schweiz gehören sie längst. Für Ihren Beitrag, die Schweiz und unsere Gesellschaft mitzugestalten, danke ich Ihnen herzlich. Ich habe grossen Respekt vor ihrem Mut und ihrem Engagement. Deshalb bin ich heute wieder hier.

Geschätzte Mitmenschen

Ich bin froh, dass Sie hier sind. Wenn ich hier in die Runde schaue, dann gibt mir das viel Zuversicht. «Partizipation und Inklusion statt Sündenbockpolitik», das ist das Motto dieser Flüchtlingssession. Ich setze da ein Ausrufezeichen. Sie gehören zu unserer Gesellschaft! Dazu gibt es keine Alternative.

Ich glaube an die Integrationskraft der Schweiz. Wir haben es in der Vergangenheit immer wieder verstanden, Vielfalt und Neues als Chance zu sehen und Menschen aufzunehmen und mitzunehmen. Sie alle – wir alle – gehören zur Schweiz, tragen für sie Verantwortung und machen sie ein bisschen anders und besser. Wir alle, gemeinsam.

Vielen Dank dafür und für Ihre Aufmerksamkeit.


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Last update 29.01.2022

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