Erinnerungen an den 1. August 1948


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Lokale News, 30.07.2018

Zum 1. August hat unsere Botschaft dieses Jahr ein berührendes Schreiben erhalten: Die persönliche Erinnerung eines Berliners an den Kinder-Urlaub in der Schweiz in 1948. Wir möchten diesen Schatz gerne mit Ihnen teilen und wünschen einen frohen Bundesfeiertag!  

Kinder schauen aus dem Zug und lachen
Berlin 1948 © Bundesarchiv Bern

Gruezi miteinnand,

Der 1. August 1948 

Ich berichte aus der Zeit vor 70 Jahren. Ich bin vor Kriegsbeginn im Juli 1939 in Berlin-Wilmersdorf geboren. Dank der Aufmerksamkeit meiner Mutter wurde ich, zusammen mit meiner jüngeren Schwester, für den Kindertransport in die Schweiz ausgewählt. Das war 1948, vor nunmehr 70 Jahren. Meine Mutter sagte: „Du fährst nun in das Land, wo Milch und Honig fliesst“. Sicherlich war ich stark unterernährt. Denn drei Jahre nach Kriegsende herrschte überall Not, aber besonders in der grossen Stadt Berlin, wo meine Familie seit 1946, nach der Evakuierung, lebte. Unser Wohnhaus wurde 1943 ausgebombt und nach der Rückkehr lebten wir in einer Teilruine. 

Schwyzer Kinderzug 

Am 11. Juni, vor 70 Jahren, traf unser Sonderzug in Basel mit 449 Berliner Kindern ein.  Unsere zweieinhalbtägige Fahrt führte durch das zerstörte Deutschland. In Basel wurden wir entlaust, verpflegt und schliefen eine Nacht auf Feldbetten in einer Bahnhofshalle. Anderntags brachten uns nette Rote-Kreuz-Schwestern zu unseren Gasteltern. Hier sah ich die unzerstörten Häuser, der Zug fuhr mit einer Elektrolok, welches ich sofort bemerkte, denn in Deutschland fuhren nur schwarze Dampfloks. Am Bahnhof Herzogenbuchsee wurde ich mit dem Auto von der Familie Schneeberger abgeholt. 

Mein erster Eindruck war das ausgiebige Mittagessen. Ich sah als Vorspeise Orangen und Äpfel in grosser Zahl. Vom Hauptgericht konnte ich so viel essen, wie mein Magen es vertrug und dann gab es noch eine Käseplatte zum Nachtisch. Und morgens gab es natürlich Milch mit Ovomaltine. Das war für mich, einem 8-jährigen Jungen, das Schlaraffenland. Bald hatte ich meinen 9. Geburtstag. Sehr gut erinnere ich mich an den 1. August 1948, dem Nationalfeiertag in der Schweiz. Es war ein grosses Volksfest, mit vielen Menschen aber wenig Rummel. Für uns Kinder gab es ein Kinderkarussell, welches wir selber drehen durften. Ich durfte diesem Nationalfeiertag mitfeiern. Mich interessierten die Männer. Auf einem grossen Platz waren Schiessscheiben angebracht worauf die Männer mit ihren Pistolen auf kurze Distanz schossen. Nachdem die Pistolen-Übungen vorüber waren, folgte das Schiessen mit dem Gewehr. Dazu legten sich die Schützen auf den Boden und mussten auf grössere Entfernung schiessen. 

Ich war für 3 Monate eingeladen. Ja, Sie lesen recht, nicht für 3 Wochen, sondern für 3 Monate. Und es gab nicht nur jeden Tag tolles Essen, sondern auch ein Taschengeld, welches ich ansparen sollte.

14 Tage nach meiner Ankunft passierte etwas Unerwartetes: die Berlin-Blockade. Meine Aufenthaltsdauer war nun ungewiss, die genaue Rückkehr stand in den Sternen. Der Kinderzug sollte planmässig um den 11. September 1948 nach Berlin zurückfahren. Der fand erst am 20.September statt, mit 9-tägiger Verzögerung, verursacht durch die Sowjets in der Sowjetischen Besatzungszone. Diese gaben dem Schweizerischen Roten Kreuz keine Sondererlaubnis für eine Durchfahrt mit den „Schweizer Kindern“. So wurde ich nach den Sommerferien in die Schule geschickt und lernte dort Schweizerdeutsch. Und Schönschrift, und deutsche Volkslieder. Erst Verhandlungen des Internationalen Roten Kreuz, Genf, mit den Sowjets hatten Erfolg. Wir 449 Berliner Kinder durften zurück zu den Eltern und Geschwistern. Nach einer zweieinhalbtägigen Reise von Basel über die französische, amerikanische und sowjetische Zone kamen wir in Berlin an. 

Unbewusst waren wir Blockadebrecher. 

Unser Schweizer Zug fuhr mit 451 Berliner Kindern aus Ost- und West wieder zurück in das Land der Berge. Ehrenamtliche Schweizer Frauen und Männer versorgten diese Kinder auf der langen Reise. Ich bewundere die Schweizer, die es insgesamt 44.000 deutschen Kindern ermöglichten, sich in den Nachkriegsjahren in der Schweiz zu erholen. Ich war einer von 4.400 Berliner Kindern, die das Glück hatten, dorthin zu fahren. 3 Jahre nach dem Ende des fürchterlichen Zweiten Weltkrieges. 

Mit freundlichen Grüßen

Kinder
Berlin 1948 © Bundesarchiv Bern