Im Namen der Frauen und der Ungeborenen

Medienmitteilung, 27.08.2015

An der Jahreskonferenz der Entwicklungszusammenarbeit 2015, die am 21. August 2015 in Basel stattfand, hielt Edna Adan Ismail ein flammendes Plädoyer dafür, dass in ihrem Heimatland Somaliland alle Frauen Kinder gebären können, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Für dieses Anliegen kämpfte die Hebamme und heutige Spitaldirektorin, in den letzten Jahren konsequent. Ihr Bericht veranschaulicht, wie wichtig es ist, dass alle Menschen Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung haben.

Edna Adan Ismail an der Jahreskonferenz.
Edna Adan Ismail gründete 2002 in Somaliland ihr Frauenspital. Seither kamen dort 17'000 Säuglinge zur Welt. © DEZA

Die Geschichte von Edna Adan Ismail begann 1937 in Somalia. Es ist die Geschichte einer Frau, die in mehrerer Hinsicht Vorkämpferin ist. Bereits als kleines Mädchen behauptete sie in der Schulbank ihren Platz unter den Knaben mit Entschlossenheit. Später studierte sie in Grossbritannien und kehrte einige Jahre danach als erste diplomierte Pflegefachfrau und Hebamme zurück in die Heimat. Edna Adan Ismail engagierte sich vielfältig und beendete ihre lange Berufslaufbahn in einer Führungsfunktion der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Hier könnte ihre Geschichte zu Ende sein. Wenn nicht Edna Adan Ismail nach ihrer Pensionierung auf die verrückte Idee gekommen wäre, ein Frauenspital zu gründen. Sie baue Luftschlösser, sagten die einen. Das sei verlorene Liebesmüh, doppelten andere nach. Doch sie alle haben die Beharrlichkeit von Edna Adan Ismail unterschätzt. Und die Wut, die sie packt, wenn sie sieht, wie viele Frauen vor und nach der Geburt an behandelbaren Komplikationen sterben.

Nach mehreren Jahren Vorarbeit und dank breiter Unterstützung hat Edna Adan Ismail ihr Luftschloss Realität werden lassen. Das Frauenspital öffnete seine Tore 2002 in Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands. Es war ein absolutes Novum in der Region. Seither kamen dort 17'000 Kinder zur Welt, Tausende von Frauen erhielten kompetente Behandlungen. Es wurden fast 2000 Kaiserschnitte durchgeführt und 845 Pflegefachleute, Hebammen und Apotheker ausgebildet. 2012 gründete Edna Adan Ismail neben dem Spital eine Universität, um die Ausbildung von Pflegepersonal weiter voranzutreiben.

Die Konferenz erinnerte daran, dass weltweit 400 Millionen Menschen keine ausreichende Gesundheitsversorgung haben. Wie sieht es in Somaliland aus?

In Somaliland fehlt es an allem. Sämtliche Indikatoren, ob zum Gesundheitswesen, zur Bildung oder zur Pro-Kopf-Kaufkraft, sind alarmierend schlecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau an den Komplikationen einer Schwangerschaft oder einer Geburt stirbt, ist 200-mal höher als in der Schweiz. Zu erklären ist dies damit, dass in Somaliland weniger als 10 % der Schwangeren medizinisch betreut werden. Auch die Kinder sind betroffen: 9 von 100 Kindern sterben vor dem fünften Geburtstag, darunter viele Neugeborene. Das ist eine dramatisch hohe Quote.

Diese Realität hat Sie veranlasst, Ihr Spital zu gründen. Welche Bilanz ziehen Sie nach dreizehn Jahren?

Ich kann mehr als zufrieden sein. Wir haben nicht nur Tausende von Schwangerschaften begleitet und in unserer ambulanten Klinik täglich medizinische Grundleistungen erbracht, sondern ich nehme auch einen langsamen, aber steten Mentalitätswandel wahr.

Haben die Frauen in Somaliland heute mehr Rechte als vor 20 Jahren?

Das ist ein ständiger Kampf. In unserer Kultur gibt es Aspekte, die wir ablehnen und überwinden müssen. Zu viele Frauen sind von den Männern in ihrem Umfeld abhängig, die skeptisch gegenüber Kaiserschnitten oder Medikamenten sind. Viele sind auch in kurzen Abständen immer wieder schwanger. Für mich haben die Nomadinnen Priorität. Sie sind häufig Analphabetinnen, leben isoliert und haben das härteste Schicksal. Sexistische Ansichten finden wir aber auch viel näher. Ich vertrete da auch gegenüber meinen Studierenden im Spital eine sehr klare Haltung.

In welcher Form?

Nach einem ersten Apotheken-Lehrgang, den ausschliesslich Frauen absolvierten, war die zweite Gruppe, die den Kurs in meinem Spital in Angriff nahm und abschloss, gemischt. Bei der Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse lagen drei Frauen an der Spitze. Die jungen Männer waren neidisch und wollten der Preisverleihung fernbleiben. Ich habe mit ihnen gesprochen und ihnen erklärt, dass die Frauen einfach besser abgeschnitten hätten. Doch davon wollten sie nichts wissen. Da habe ich Ihnen gedroht: «Wenn Ihr die Feier boykottiert, werde ich Euer Diplom nicht unterzeichnen. Für Männer wie Euch ist mir meine Zeit zu schade.» Diese Worte haben sie überzeugt...

Wie ist die Situation, was die Genitalverstümmelung von Frauen betrifft?

Diese ist bei uns leider noch immer sehr verbreitet. Dass wir diese Thematik nun aber offen zur Sprache bringen können, ist an und für sich schon ein Sieg. Vor einer Geburt geben wir den künftigen Eltern einen Fragebogen zum Ausfüllen, in dem unter anderem die Frage gestellt wird: «Falls Ihr Kind ein Mädchen ist, werden sie es dann einer Genitalverstümmelung unterziehen?» Diese Frage ändert rechtlich gesehen nichts, aber sie appelliert natürlich ans Gewissen. Wir besprechen heute die Frage direkt mit den Vätern. Schliesslich nehme ich allen meinen Studierenden, die sich in der neuen Universität einschreiben, auch für Zahnmedizin, das Versprechen ab, dass sie sich offen gegen solche Verstümmelungen einsetzen, sonst schicke ich sie wieder nach Hause.

Was für ein Projekt würden Sie gerne noch realisieren?

Ich möchte die nomadische Bevölkerung stärker unterstützen. Wie bereits erwähnt, fallen die Nomaden durch das heutige Netz des Gesundheitssystems. Notwendig wären wesentlich mehr dezentralisierte Gesundheitseinrichtungen mit medizinischem Personal, das Fieber analysieren kann, Malaria erkennt, Grundleistungen erbringt oder Patienten allenfalls in ein Spital überweist. Dazu braucht es nicht unbedingt Ärzte und Ärztinnen, aber zumindest Pflegepersonal.

Sie machen kein Geheimnis aus Ihrem Alter... bald werden Sie 78. Was wird aus dem Spital und der Universität, wenn Sie beschliessen, sich zur Ruhe zu setzen?

Falls ich morgen sterbe, wird mich das Spital überleben, ebenso wie alles andere, was ich aufgebaut habe. Denken Sie an all das Personal, das ich ausgebildet habe. Ich motiviere die Behörden immer wieder, Projekte mitzutragen. Bei der Erarbeitung der Ausbildungsprogramme beziehe ich die Regierung mit ein und lasse sie unterschreiben, dass sie den Kurs anerkennt und dem ausgebildeten Personal Arbeitsplätze garantiert. Intern im Spital habe ich Bereichsverantwortliche ernannt, die mich ersetzen könnten. Ich verlange von Ihnen echte Professionalität und absolute Transparenz.

Engagement der DEZA am Horn von Afrika: Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zurückgewinnen

Das «Horn von Afrika» ist seit 2013 eine Schwerpunktregion der DEZA. 2014 finanzierte sie dort Projekte im Umfang von 40 Millionen Franken im Rahmen der regionalen Strategie. Die zahlreichen Konflikte in der Region sowie häufige Dürren führten zu einer anhaltenden humanitären Krise, die mit Bevölkerungsbewegungen und Ernährungsunsicherheit einhergeht. Zur Deckung der dringendsten Bedürfnisse geht die Schweiz Partnerschaften mit verschiedenen humanitären Organisationen ein. Parallel dazu versucht sie, die eigentlichen Ursachen der Konflikte und der Armut anzugehen, die für die fragile Lage am Horn von Afrika verantwortlich sind. Die DEZA unterstützt die Bauern und Hirten in der Region sowie die Behörden bei der Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen. Sie fördert ausserdem die Bereitstellung von Dienstleitungen und hilft, das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen zurückzugewinnen. In diesem Rahmen leistet sie in Somaliland unter anderem einen Beitrag zum Aufbau dezentraler Gesundheitsstrukturen, die in der Lage sind, die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dazu unterstützt die DEZA ein internationales, von der UNO koordiniertes Programm. Seit 2012 konnten dabei in elf Ausbildungseinrichtungen, unter anderem im Frauenspital von Edna Adan Ismail, 300 Hebammen ausgebildet werden oder sie sind noch in Ausbildung. Gemeinsam mit den nationalen Behörden werden verschiedene Gesundheitsstrategien erarbeitet, insbesondere in den Bereichen Ernährung und Bekämpfung von Genitalverstümmelungen bei Frauen. Die DEZA unterstützt ausserdem die Sheikh Veterinary School (Veterinärschule) in Berbera, einer Stadt an der Küste Somalilands, da die Gesundheit des Viehs in der Region eng mit der Gesundheit der Hirtenbevölkerung verknüpft ist. Schliesslich trägt die DEZA zu verschiedenen lokalen Entwicklungsprojekten in den Bereichen Wasser, ländliche Wirtschaft und Infrastruktur bei. Das Modell der DEZA fördert die Schaffung von Entwicklungsfonds, die durch lokale Behörden und die Landbevölkerung verwaltet werden. Diese garantieren nach dem Vorbild des Föderalismus in der Schweiz eine gewisse steuerliche Dezentralisierung und somit eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerung.

Das Engagement der DEZA am Horn von Afrika