Schweizer Experten erörtern die Post-2015-Agenda

Artikel, 25.10.2013

Schweizer Kooperationsexperten sind am Vortag des Internationalen Forums über die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit zusammengekommen. Das Forum wurde von der DEZA und der UNO-Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten am 24. und 25. Oktober 2013 in Montreux ausgerichtet, um die Post-2015-Agenda zu koordinieren. Bei dem vorgängigen Treffen der Kooperationsexpertinnen ging es um die Erarbeitung einer zentralen Botschaft der Schweiz. Es folgen Porträts von einigen Teilnehmenden.

Welche Rolle möchten die Schweizer Akteure im Bereich Entwicklung und Zusammenarbeit bei der gegenwärtigen Festlegung der Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung post-2015 spielen? Wie gestaltet sich ihrer Meinung nach die zukünftige Zusammenarbeit?

Am Vortag des Internationalen Forums über die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit haben Schweizer Experten für Entwicklungszusammenarbeit in Montreux ihre Prioritäten für die post-2015 Agenda erörtert, die derzeit von Akteuren aus aller Welt ausgearbeitet wird und als Rahmen für die künftige internationale Politik im Bereich Entwicklung und Zusammenarbeit dienen soll. Porträts der Schweizer Kooperationsexperten.

Carlo Sommaruga, Nationalrat (SP), Genf

«Ich nehme an diesen Gesprächen als Parlamentarier, als künftiger Präsident der Aussenpolitischen Kommission und als Mitglied der Beratenden Kommission für internationale Entwicklungszusammenarbeit teil. Ich verstehe meine Rolle als Bindeglied zwischen solchen Diskussionen und dem Parlament. Ich möchte zur Formulierung der Schweizer Position in der Post-2015-Agenda beitragen und dafür sorgen, dass die Verteilung der Reichtümer zwischen dem Norden und dem Süden und der Kampf gegen Armut und extreme Armut weiter im Mittelpunkt der Debatte stehen. Kernbestandteil der Schweizer Position sollte nach meiner Ansicht auch die Bekämpfung illegaler Finanztransaktionen und Finanzströme sein.

Ich bin überzeugt, dass die Agenda für die Zeit nach 2015 einen Wandel unseres aktuellen Entwicklungsmodells bewirken wird. Im Gegensatz zu 2000 befinden wir uns nicht mehr in einem Nord-Süd-Verhältnis. Wir sehen derzeit in Europa Länder, die mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Um ihre Wirksamkeit zu bewahren, muss sich die Zusammenarbeit in diese tiefgreifende Umgestaltung der Welt einordnen. Das bedeutet, dass auch wir im Norden unsere Einstellung ändern und gemeinsame Verantwortung übernehmen. Deshalb ist es nach meiner Auffassung entscheidend wichtig, der Post-2015-Agenda Allgemeingültigkeit zu verleihen. Sie muss als Grundlagendokument für eine nachhaltige Entwicklung dienen.

Das Dokument überzeugt mich: Es wird aus einem partizipativen Prozess hervorgehen, der weitaus umfassender als bei den Millenniumsentwicklungszielen sein wird, die in erster Linie das Ergebnis zwischenstaatlicher Erörterungen waren. Die Agenda wird sich außerdem dadurch auszeichnen, dass Lösungen für die Verwirklichung ihrer Ziele vorgeschlagen werden.»

Urs Leimbacher, Direktor für Öffentlichkeitsarbeit, Swiss Re

«Ich glaube, dass ein Land die von ihm gewährte Zusammenarbeit künftig stärker darauf ausrichten muss, sein Wissen und die bei seinen Projekten gewonnenen Erfahrungen weiterzugeben, statt diese Projekte selbst in anderen Regionen durchführen zu wollen. Allerdings ist es für die Unternehmen noch schwierig, konkrete Vorschläge für die Post-2015-Agenda zu unterbreiten.

Die Swiss Re engagiert sich bereits über verschiedene Plattformen wie den «Globalen Pakt» der Vereinten Nationen und die «Principles for Sustainable Insurance» der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Mit jedem Jahr schreiten wir auf dem Weg zur Nachhaltigkeit weiter voran, indem wir konkrete Ziele festlegen und indem wir beispielsweise versuchen herauszufinden, wie wir bei unseren Aktivitäten den Energieverbrauch senken können.

Für uns muss eine nachhaltige Wirtschaft auf der Beachtung internationaler ökologischer Kriterien und des sozialen Umfelds eines Landes gründen.»

Wolfgang Kinzelbach, Professor am Institut für Umweltingenieurwissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ)

«Ich bin von Haus aus Naturwissenschaftler. Für mich ist es daher äußerst wichtig, dass die Erhaltung der Natur in der Post-2015-Agenda festgeschrieben wird. Der Mensch breitet sich derzeit überall aus und lässt der Natur immer weniger Raum. In dieser Hinsicht kann eine Einrichtung wie die ETH Zürich Analysen und Lösungsansätze für die Minderung dieses Problems bereitstellen.

Ich wünsche, dass die Post-2015-Agenda und die Gesamtheit der Akteure im Bereich Entwicklungszusammenarbeit der Überbevölkerung unseres Planeten und unserem übermässigen Konsum Rechnung tragen. Wenn die Nachhaltigkeit der Erde eine Kernaussage der Agenda darstellt, ergibt sich daraus zwangsläufig die Notwendigkeit, dass wir weniger konsumieren und unser Streben nach ständigem Wachstum in Frage stellen.»

Maribel Rodriguez, Generalsekretärin der Fédération genevoise de coopération

«Die Post-2015-Agenda bezieht im Gegensatz zu den Millenniumsentwicklungszielen neue Akteure der Zivilgesellschaft in den Dialog ein. Sie bietet ein Gesprächsformat, das die Betroffenen stärker einbindet und von den Regierungen nach seiner Annahme hoffentlich beibehalten wird, um eine bessere Aneignung dieser neuen Ziele zu garantieren.

Die Fédération genevoise de coopération (Genfer Verbund für Zusammenarbeit und Entwicklung) weist den Vorzug auf, dass sie eine große Vielfalt lokaler Akteure in Genf und in den Ländern, in denen sie präsent ist, unter ihrem Dach vereint. Wir möchten daher unsere kritische, auf den Erfahrungen vor Ort aufbauende Perspektive einbringen. Lokale Projekte wie unsere auf dem Konzept der Ernährungssouveränität beruhenden Vorhaben können umfangreichere Agrarprogramme hervorragend ergänzen.

Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich, wie ich finde, auch künftig vor allem auf ihre traditionellen Akteure stützen. Parallel dazu muss sie jedoch ihre neuen und immer mächtigeren Partner wie China und Brasilien und den Privatsektor einbeziehen, um weitreichendere Ziele zugunsten einer gerechteren nachhaltigen Entwicklung aufzustellen.»

Mark Herkenrath, Programmleiter «Internationale Finanz- und Steuerpolitik», Alliance Sud

«Unsere Mitglieder führen Programme und Projekte in zahlreichen Regionen der Welt durch. Sie kennen die Bedürfnisse dieser Länder und informieren uns darüber. Als Verband bemühen wir uns, diesen Bedürfnissen in der Schweiz, im Parlament, in der Öffentlichkeit und nach Möglichkeit bei der Debatte zur Festlegung der Post-2015-Agenda Gehör zu verschaffen.

So stellen wir fest: je stärker ein Land von betrügerischer Kapitalflucht betroffen ist, desto mehr Geld muss dort in die Zusammenarbeit und die Entwicklung fliessen. Das ist eine Schande! Die Schweiz hat daher die Pflicht, diese Steuerumgehung und die Potentatengelder besser zu überwachen. Ein weiterer zentraler Punkt, dem wir Vorrang einräumen möchten, ist die Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels.

Die Zusammenarbeit sollte so, wie sie in der Post-2015-Agenda definiert sein wird, eindeutig auf den Kampf gegen Armut und eine stärkere Selbstbestimmung (empowerment) ausgerichtet sein, damit der Einzelne selbst die erforderlichen Mittel zur Bewältigung sozialer Probleme finden kann.

Die Schweiz muss ihrerseitsverstehen, dass ihre Klimapolitik und ihre Wirtschaftspolitik erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklungsländer haben und dass ihr Handeln daher ein gewisses Mass an Kohärenz erreichen muss. In diesem Sinne wünsche ich, dass die DEZA als Bezugspunkt in dieser Debatte angesehen wird und dass sie ihren Sachverstand einbringen kann, selbst wenn die politischen Herausforderungen nicht direkt in ihren Zuständigkeitsbereich fallen.»

Weiterführende Informationen und Dokumente