22.01.2016

Jahreskonferenz der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2016. Die Umsetzung der Agenda 2030: neue Parameter für die DEZA. Botschafter Manuel Sager, Direktor DEZA. Messe Zürich, 22. Januar 2016.

Rednerin/Redner: Manuel Sager

Sehr geehrte Damen und Herren,Exzellenzen, Liebe Freundinnen und Freunde der Entwicklungszusammenarbeit,

Es freut mich ausserordentlich, dass so viele Leute heute nach Zürich gekommen sind, um mehr über die neue Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu erfahren. Es ist uns zudem eine besondere Ehre, dass UNO Generalsekretär Ban Ki-moon sich die Zeit genommen hat, an dieser Konferenz teilzunehmen. Ich denke seine Botschaft war klar: Die SDGs sind Ziele für die Menschheit. Es braucht uns alle, damit es uns allen besser geht.

Geschätzte Damen und Herren,

Ich möchte Sie zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen: Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer kleinen Gemeinde irgendwo in der Schweiz. Die Gemeinde hat 193 Einwohner. Wie in jeder Gemeinde sind die Interessen der Bewohner sehr unterschiedlich. Es gibt Jüngere und Ältere, Familien und Alleinstehende, Bauern, Fabrikarbeiter, Versicherungsangestellte etc.

An der Gemeindeversammlung haben Sie die Aufgabe, gemeinsam die grössten Herausforderungen für Ihre Gemeinde zu identifizieren und Lösungen auszuarbeiten. Am Schluss können die 193 Bürgerinnen und Bürger Ihrer Gemeinde jedoch nicht einfach über einen Vorschlag abstimmen und einen Mehrheitsentscheid fällen. Sie müssen einen Vorschlag erarbeiten, welcher von allen im Konsens mitgetragen wird und die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt.

Was ich mit diesem Beispiel sagen will:

- Es ist nicht selbstverständlich, dass die internationalen Verhandlungen zur Agenda 2030 erfolgreich abgeschlossen werden konnten – zumal die Staatengemeinschaft wohl noch heterogener ist als die Bevölkerung der Gemeinde im Beispiel.

- Und es ist nicht selbstverständlich, dass sich die Staaten nicht nur auf die Ziele einigten, sondern auch bereit sind, regelmässig zu überprüfen, ob sie noch auf Kurs sind.

Und trotzdem: Diesen diplomatischen Erfolgen stehen die sich täglich jagenden Meldungen über Krisen und Konflikte, Naturkatastrophen und menschliches Leid gegenüber. Auch Sie stellen sich sicher gelegentlich die Frage: Was bringen solche Konferenzen wirklich? Findet nicht jedes Jahr eine Vielzahl solcher Treffen statt, und schliesslich ändert sich jeweils nichts oder fast nichts?

Ich kann diese skeptischen Stimmen gut verstehen. Es ist in der Tat nicht immer einfach zu sehen, was genau sich im Zuge solcher internationaler Prozesse ändert. Doch insbesondere im Fall der Agenda 2030 bin ich optimistisch.

Warum?

- Der Agenda 2030 liegen zwei Erkenntnisse zugrunde:

- Erstens, die Ziele könnnen nur erreicht werden, wenn alle Länder – ärmere und reichere – zur Umsetzung beitragen.

- Zweitens, gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen dürfen nicht isoliert voneinander betrachtet werden.

- Ermutigend ist schliesslich auch die Tatsache, dass die Einhaltung der Verpflichtungen und der Fortschritte regelmässig überprüft wird.

Lassen Sie mich nun auf die Fragen eingehen, wie die Agenda 2030 finanziert wird und welchen Beitrag wir mit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit leisten?

Der Finanzierungsbedarf der Agenda 2030 ist enorm. Die gute Nachricht ist, dass das Geld global gesehen vorhanden ist. Allerdings müssen die Gelder und Ersparnisse, welche heute bei Staaten, bei Pensionskassen, bei Unternehmen oder auch bei Privaten liegen, noch vermehrt für die nachhaltige Entwicklung eingesetzt werden. Gleichzeitig müssen die unlauteren Finanzabflüsse aus den Entwicklungsländern unterbunden werden.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt, dass für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung jährliche Investitionen von 5 bis 7 Billionen Franken notwendig sind! Alleine in Entwicklungsländern bedürfe es rund 3,5 bis 4,5 Billionen Franken. Das sind ungefähr 30 Mal mehr als die jährlichen weltweiten Ausgaben für öffentliche Entwicklungshilfe.

Auch wenn es sich bei solchen Zahlen natürlich um grobe Schätzungen handelt, wird doch klar: Die öffentliche Entwicklungshilfe alleine wird die SDGs nicht finanzieren können. Trotzdem bleibt sie auf absehbare Zukunft unverzichtbar. Denn im Gegensatz zu anderen Geldern können die Mittel von Entwicklungsagenturen wie der DEZA ganz gezielt zum Nutzen von armen und benachteiligten Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden.

Was bedeutet nun die Agenda 2030 für die Arbeit der DEZA? Dazu vier Punkte:

Erstens fordert uns die Agenda 2030 auf, niemanden zurückzulassen. Gerade deshalb sollen öffentliche Entwicklungshilfegelder weiterhin und sogar noch verstärkt dort eingesetzt werden, wo die Herausforderungen aufgrund der Armut oder Fragilität besonders gross sind. Solche Länder werden von internationalen Investoren aufgrund des hohen Risikos oder mangelnder lokaler Kapazitäten oft gemieden. Aus diesen Gründen investiert die DEZA mehr als die Hälfte ihres bilateralen Entwicklungsbudgets in den ärmsten und fragilsten Ländern.

Dienstreise u.a. nach Süd Kivu: weitgehendes Fehlen staatlicher Strukturen für Bereitstellung von Grunddienstleistungen; ausserdem 70 bewaffnete Milizen, die Lokalbevölkerung terrorisieren.

Natürlich braucht es dort – wie an anderen Orten - in erster Linie den Willen und/oder die Fähigkeit des Staates, zur Verbesserung dieser desolaten Situation beizutragen. Aber in der Zwischenzeit können wir mit unserer Unterstützung vielen Menschen zu einem menschenwürdigeren Dasein verhelfen.

Zweitens anerkennt die Agenda 2030, dass ihre Ziel ohne Zusammenarbeit von öffentlichem und privatem Sektor nicht erreicht werden können. Massgebliches Wirtschaftswachstum kann nur vom Privatsektor kommen. Selbst in den ärmsten Ländern arbeiten neun von zehn Menschen im privaten Sektor. Dieser trägt deshalb auch eine grosse Verantwortung, dass der erwirtschaftete Wohlstand allen Bevölkerungsgruppen zugutekommt und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit schont.

Die DEZA wird ihre schon heute fruchtbare Zusammenarbeit mit privaten Akteuren weiter ausbauen. Im Westbalkan, zum Beispiel, setzen wir zusammen mit lokalen Unternehmen Kernelemente des Schweizer Berufsbildungssystems um. Damit leisten wir gemeinsam mit privatwirtschaftlichen Partnern einen Beitrag im Kampf gegen die horrende Jugendarbeitslosigkeit.

In der folgenden Podiumsdiskussion werden wir anhand eines Beispiels zur nachhaltigen Kakaoproduktion in Indonesien mehr über das Potential von öffentlich-privaten Partnerschaften erfahren.

Drittens lenkt die Agenda 2030 den Fokus auf globale Risiken. Phänomene wie Klimawandel, Wasserknappheit, Ernährungssicherheit oder Gesundheitskrisen wie Ebola kennen keine Grenzen und müssen deshalb global angegangen werden müssen.

Eine Trockenperiode in den USA kann sich unmittelbar auf die Weltmarktpreise der wichtigsten Getreidesorten und damit auch auf die Ernährung einer armen Familie in einem weit entfernten Land auswirken. Oder denken Sie an El Niño im Pazifik, der in Ostafrika sowohl Dürren, als auch Überschwemmungen verursacht.

Die Globalprogramme der DEZA zu Klimawandel, Wassersicherheit, Gesundheit, Ernährungssicherheit sowie Migration ergänzen die bilaterale Zusammenarbeit mit innovativen Lösungen. Sie erlauben es der Schweiz, die internationale Politik zu diesen Themen aktiv mitzugestalten. Dadurch wird auch die Hebelwirkung der bilateral eingesetzten Gelder vergrössert.

Lassen sie mich dies an einem konkreten Beispiel illustrieren: Die Produktion von Zement ist für rund 8 % der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Aufgrund des enormen Infrastrukturbedarfs wird sich die Nachfrage nach Zement, insbesondere in Schwellenländern wie Indien, China oder Brasilien bis 2050 verdoppeln. Wenn es gelingen würde, einen neuen Zementstandard zu entwickeln, welcher in der Produktion weniger CO2-Emissionen verursacht, könnte dies die globalen Treibhausgasemissionen massiv reduzieren.

Das Globalprogramm Klimawandel der DEZA setzt genau hier an: Es unterstützt die Entwicklung eines neuen Zementtyps, bei dessen Produktion der CO2-Ausstoss im Vergleich zu herkömmlichem Zement um bis zu 30 % reduziert wird und zudem noch günstiger in der Herstellung ist.

Das Projekt beruht auf einer Partnerschaft zwischen Universitäten in der Schweiz, Indien und Kuba, der DEZA sowie privaten Zementunternehmen. Es freut mich besonders, dass unser Kooperationsbüro in Delhi mit diesem Zement gebaut wurde.

Um globale Herausforderungen wirksam anzugehen, braucht es aber auch eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Dies ist mein vierter Punkt. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat in seiner Ansprache die wichtige Rolle der UNO bei der Bewältigung globaler Herausforderungen unterstrichen. Gerade diejenigen Probleme, die sich über nationale Grenzen hinaus auswirken, können von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit nicht alleine bewältigt werden. Nehmen Sie die Bekämpfung von Malaria, in der die gebündelte Kapazität von UNO-Organisationen wie UNICEF und WHO zum Tragen kommt. Durch deren Beteiligung sind auch Nichtregierungsorganisationen sowie grosse private Organisationen, z.B. die Gates Foundation, mobilisiert worden. Zwischen 2000 und 2015 konnten so mehr als 6 Millionen Menschen vor dem Malariatod bewahrt werden.

Oder nehmen sie die gegenwärtige Flüchtlingskrise im Zusammenhang mit dem Syrien-Konflikt: Nur multilaterale Partner sind in der Lage, die dringend notwendige Hilfe für die betroffene Bevölkerung zu koordinieren. Durch die enge Zusammenarbeit mit diesen Partnern können auch die Mittel der Schweiz gebündelt und Synergien genutzt werden.

Meine Damen und Herren,

Ich habe es zu Beginn erwähnt: Der Erfolg der Agenda 2030 wird sich an deren Umsetzung messen. Und diese beginnt jetzt - auch für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Uns steht diesbezüglich mit der Verabschiedung der neuen Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit für die Periode 2017 bis 2020 ein wichtiges Jahr bevor.

Die Agenda 2030 bildet für diese Botschaft einen wesentlichen Referenzrahmen. Auch für die Internationale Zusammenarbeit der Schweiz bedingen sich Armutsbekämpfung, Frieden und nachhaltige Entwicklung gegenseitig. Das Eine ist ohne die Anderen nicht zu haben. Das bedingt auch eine enge Zusammenarbeit über institutionelle und thematische Grenzen hinaus.

Die Botschaft wird in den nächsten Wochen dem Bundesrat vorgelegt und anschliessend dem Parlament unterbreitet.

Meine Damen und Herren,

Die Agenda 2030 fordert unser Land aber auch auf nationaler Ebene heraus. Alle relevanten Politikfelder müssen künftig so ausgestaltet werden, dass sie sowohl im Inland, als auch im Ausland zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Das ist eine komplexe Aufgabe, bei der Interessenkonflikte unvermeidlich sind. Der Diskussions- und Koordinationsbedarf wird ansteigen. Mit den langfristigen und übergeordneten Zielen vor Augen werden aber gemeinsame Lösungen möglich sein. Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz ist gut aufgestellt und bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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