Lokale News, 11.05.2015

Beim Erdbeben in Nepal wurde auch die Schweizer Botschaft in Kathmandu erheblich beschädigt. Der Schweizer Botschafter in Nepal, Urs Herren, erzählt im Interview, wie er das Erdbeben erlebte, wie die Botschaft während der Krise arbeitet und was das Erdbeben für das langjährige Engagement der Schweiz in Nepal bedeutet.

Der Schweizer Botschafter in Nepal Urs Herren während eines Telefoninterviews.
Der Schweizer Botschafter in Nepal Urs Herren (Kathmandu, 28.04.2015) © EDA

Botschafter Urs Herren, wo waren Sie, als die Erde bebte?
Es war ein Samstag, wir hatten zu Hause gerade mittaggegessen. Bei einem solchen Erdbeben hat man das Gefühl, dass sich das ganze Gebäude verbiegt. Die Möbel begannen, sich zu bewegen, die Sofas rutschten zwei Meter zur Seite. Zum Glück weilten meine beiden Töchter zu diesem Zeitpunkt an einer Sportveranstaltung im Ausland.

Am Tag danach gab es bereits ein zweites Beben. Wie verkraftet man so einen Schock?
Am Sonntag waren wir bereits im Krisen- und Operationsmodus. Ich nahm das zweite Beben zwar wahr, doch  die Arbeit ging weiter. Dieses Beben war auch wesentlich schwächer als das erste.

Die lokalen Angestellten sind speziell betroffen, weil sie sich auch um ihre Familien kümmern müssen. Was kann man in einer solchen Situation von ihnen überhaupt verlangen?
Ich habe von Anfang an klar gemacht, dass sie sich in erster Priorität um ihre Familien kümmern sollen. Und dennoch kam am Sonntag mehr als die Hälfte der Lokalangestellten zur Botschaft, um zu helfen. In Kathmandu haben wir ein Team, das seit Langem mit der DEZA verbunden ist, weil unser Kooperationsbüro hier seit vielen Jahren Entwicklungszusammenarbeit mit Nepal betreibt. Und diese Angestellten zeichnen eine ausserordentliche Loyalität aus.

Sie haben bereits am Samstag Sofortmassnahmen ergreifen müssen. Was muss man als Erstes tun, was als Zweites?
Gleich nach dem Erdbeben bin ich in die Botschaft gefahren. Verschiedene Kolleginnen und Kollegen kamen ebenfalls umgehend zur Botschaft, Schweizer und Nepali. Die Wachmannschaft war ja bereits da, und wir begannen, den Notcontainer zu öffnen und die ersten Massnahmen zu ergreifen. Bei einem Rundgang wurde zudem deutlich, dass das Gebäude erheblich beschädigt ist.

Was ist ein Notcontainer? Haben das alle Botschaften?
Nein, nicht alle. Wir wissen natürlich, dass Kathmandu stark erdbebengefährdet ist. Deshalb hat bereits mein Vorgänger die entsprechende Infrastruktur geschaffen. Ich bin sehr froh, dass wir gerade erst im Februar mit der gesamten Equipe eine Erdbebenübung durchgeführt haben. Damals haben wir Zelte aufgestellt, das Material geprüft, Dokumente zum Empfang von Schweizer Staatsangehörigen hervorgeholt usw. Bereits am Tag des Erdbebens kamen denn auch die ersten fünf Schweizer Touristinnen und Touristen bei der Botschaft an. Am Sonntag stellten wir die Zelte und die Notküche auf und konnten dann auch weitere Touristinnen und Touristen bei uns aufnehmen.

Wie viele «gestrandete» Schweizerinnen und Schweizer kamen schliesslich auf das Gelände der Botschaft?                          
Insgesamt haben wir bei uns 103 Touristinnen und Touristen untergebracht, m Durchschnitt hatten wir zwischen 40 und 45 Leute im Camp. Einige blieben nur eine Nacht, weil sie für den Tag danach ein Flugticket hatten. Andere mussten sich das Ticket erst noch beschaffen. Sie blieben also unterschiedlich lange hier. Eine gute Woche nach der Katastrophe konnten wir das Camp wieder schliessen, denn zu diesem Zeitpunkt «funktionierte» Kathmandu wieder recht gut - die Hotels, Guesthouses und Restaurants hatten wieder offen, und auch der Flugverkehr hatte sich vom Mittwoch an wieder normalisiert..

Es gab aber nicht nur Schweizer Staatsangehörige hier sondern auch ausländische Touristinnen und Touristen. Weshalb?
Kathmandu wird durch den Fluss Bhagmati in zwei Hälften getrennt. Nur die schweizerische und die norwegische Botschaft befinden sich im südlichen Teil. Aufgrund eines Einverständnisses zwischen den Botschaften haben wir deshalb beispielsweise deutsche und französische Touristinnen und Touristen aufgenommen, deren Vertretungen sich nördlich des Zentrums befinden. Umgekehrt wäre das auch möglich.

Zu den Reisenden auf dem Botschaftsgelände kamen auch viele Suchmeldungen von Angehörigen in der Schweiz. Wie gingen Sie mit dieser zusätzlichen Arbeitsbelastung um?
Insgesamt haben wir rund 300 Suchmeldungen erhalten. Bereits am Tag nach dem Erdbebenbegannen wir, den Meldungen nachzugehen. Wenn wir eine Telefonnummer der gesuchten Landsleute hatten, konnte rasch Kontakt aufgenommen werden. In anderen Fällen dauerte es länger. Am Anfang verloren wir einige Stunden, weil wir zuerst die Infrastruktur aus dem beschädigten Gebäude herausholen und neu aufbauen mussten.

Sie haben aber Verstärkung des Departements erhalten.
Ja, der Kriseneinsatzpool des EDA hat uns rasch unterstützt. So stiessen drei Konsulatsangehörige aus der Schweiz und aus der Vertretung in Belgrad zu uns. Auch dank ihnen konnte die Suche nach Touristinnen und Touristen und Schweizer Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Kathmandu, bewältigt werden.

Und dann hatten Sie auch noch das Soforteinsatzteam (SET) der Humanitären Hilfe im Garten…
Wir haben das SET sehr gerne willkommen geheissen. Es ist so aufgebaut, dass es weitgehend autonom funktioniert. Wir haben natürlich mit Kontakten und Informationen ausgeholfen, aber das Team war in keiner Weise eine Belastung, sondern eine Hilfe.

Abgesehen von den Sorgen – wie war die Stimmung insgesamt auf dem Botschaftsgelände?
Es war für mein lokales Team sicher eine Belastung. Viele haben Schäden an ihren Häusern, die zuerst untersucht werden mussten, viele mussten in den ersten Nächten draussen schlafen, auch wegen den Nachbeben. Nach vier Tagen eines riesigen Einsatzes, sahen wir, dass die Stimmung gedämpfter wurde. Vom Mittwoch nach der Katastrophe an verfügten wir aber über einen rotierenden Einsatzplan, so dass sich die Leute auch erholen konnten.

Die Schweizer Touristinnen und Touristen kamen und gingen. Haben sie Ihnen ihre Geschichten erzählt?
Ich habe mit ihnen gesprochen und mir ihre Berichte angehört. Leider hatten einige ziemlich schlimme Erlebnisse hinter sich. Zum Glück habe ich jemanden im Team, der psychosoziale Unterstützung leisten kann. Ich freue mich aber, dass viele uns geschrieben haben, sie hätten sich in der Botschaft gut betreut und gut aufgehoben gefühlt. Diesen Dank gebe ich gerne an mein Team weiter.

Wie lange wird es dauern, bis sich Nepal erholt hat?
Das ist schwer zu sagen. Der Wiederaufbau rund um das Kathmandutal herum, wo es auf den Bergen und Hügeln die grössten Schäden gab, wird sicher längere Zeit dauern. Wie sich das auf die Entwicklung und das Wirtschaftswachstum auswirken wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Noch sind wir in der Phase der Nothilfe, in der Blachen und Zelte, aber auch Nahrungshilfe nötig sind. In den kommenden Wochen wird sich aber die Frage der mittelfristigen Bedürfnisse für den Wiederaufbau stellen.

Muss das Kooperationsbüro nun seine Projekte anpassen?
Es gibt sicher Projekte, die nach diesem Ereignis nicht in der gleichen Weise umgesetzt werden können. Wir werden auch versuchen, aus bestehenden Projekten heraus Unterstützung für den Wiederaufbau zu leisten. Deshalb werden wir uns zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten für Brücken- und Strassenbau darauf konzentrieren, beschädigte Infrastrukturen wieder instand zu stellen. Im landwirtschaftlichen Bereich wird es wohl nötig sein, auf die nächste Saison Saatgut zu beschaffen. Das werden wir aus dem jetzigen Programm heraus machen können. Und weil es jetzt einen riesigen Bedarf an Bauarbeitern gibt, werden wir unser Berufsbildungsprogramm anpassen und zusätzliche Kurse für Maurer, Spengler und Sanitärfachleute anbieten.

Letzte Aktualisierung 13.01.2023

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