16.09.2018

Basel, 16.09.2018 - Rede von Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich der Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) - Es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Departementsvorsteher, Ignazio Cassis

Bundesrat Cassis spricht mit Kardinal Koch und Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds.
Bundesrat Cassis spricht nach der Aufnahme des offiziellen Dialogs der evangelischen und der katholischen Kirchen mit Kardinal Koch und SEK-Präsident Locher. © EDA

Sehr geehrte Gottesdienstgemeinde aus der ganzen Schweiz und aus Europa
Meine Damen und Herren

Ich freue mich, Ihnen am heutigen Schweizertag der Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa die Grüsse der Schweizer Landesregierung überbringen zu können.

Und es freut mich, dass ich zu Ihnen als Katholik sprechen kann. Als Katholik, der erst noch aus einem Kanton stammt, in dessen heutigem Gebiet die Reformation vor 500 Jahren nur spärlich Fuss fassen konnte…

Damals existierte das Tessin noch nicht als Kanton, sondern stand unter der Herrschaft der Kantone Uri, Schwyz und Nidwalden. 1530 entstand in Locarno eine evangelische Gemeinde. Es war die einzige eigenständige Gemeinde dieser Art im heutigen Kantonsgebiet.

Doch auch diese Gemeinde bestand nur bis 1555. Dann wurde sie aufgelöst. Viele Gemeindeglieder gingen nach Zürich und waren dort als Textilfachleute am wirtschaftlichen Aufschwung beteiligt.

Im Tessin blieb auch nach der Gründung des Kantons im Jahr 1803 die Nähe oder Distanz zu Rom eine umstrittene Frage. Sie wurde während vielen Jahrzehnten zwischen Klerikern und Liberalen geführt.

Und vergessen wir nicht: die konfessionellen Differenzen wurden in der ganzen Schweiz ausgetragen. Sie waren der Grund der letzten militärischen Auseinandersetzung in der Schweiz, dem Sonderbundskrieg – und sie führten letztlich zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag, den wir heute feiern: Dieser Feiertag sollte nach der Gründung des Bundesstaats im Jahr 1848 ein Tag sein, der von den Angehörigen aller Parteiungen und Konfessionen gefeiert werden konnte und kann.

Ökumene im Bundesrat

Meine Damen und Herren

Auch in unserer heutigen Zeit gilt: Es ist wichtig, Standpunkte zu haben und Meinungen zu vertreten. Als Politiker, der in einem konsensdemokratischen System tätig ist, erlebe ich täglich aber auch, wie wichtig es ist, auf andere zuzugehen und deren Standpunkte zu respektieren.

Nur so besteht eine Basis, um Verständnis für einander zu entwickeln und offene Fragen zu lösen.

Sie werden im Basler Münster heute eine Absichtserklärung unterzeichnen. Darin bekräftigen Sie, dass Sie «einen offiziellen Dialog zwischen dem Vatikan und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa» über das Verständnis von Kirche und Kirchengemeinschaft aufnehmen.
Das ist ein wichtiger Schritt. Auch weil in der Vergangenheit nicht immer das Verbindende betont wurde, sondern oft auch das Trennende.

In der Schweizer Landesregierung, dem Bundesrat, stehen wir jede Woche vor der Herausforderung eines Dialogs über das gemeinsame Verständnis. Der Bundesrat besteht aus sieben Mitgliedern. Sie sind alle gleichberechtigt und gehören unterschiedlichen Parteien aller politischen Flügel an.

Wir arbeiten also nicht in einem Oppositionssystem oder in einer «Grossen Koalition» wie in anderen Ländern, sondern – wenn man so will – in einer dauerhaften «Vollkoalition». Und jedes Bundesratsmitglied macht ein Siebtel der Regierung aus.

Das heisst: Ohne gegenseitigen Respekt, ohne gute Argumente und den Geist des Kompromisses (vielleicht hilft uns ja ab und zu auch der «Heilige Geist») kann der Bundesrat seine Regierungsaufgaben nicht erfüllen.

Mit anderen Worten: Die Schweizer Landesregierung praktiziert an ihren Wochensitzungen jeweils eine Form von Ökumene - im Sinne und zum Nutzen der Menschen in der Schweiz, in der heute 25 Prozent den evangelisch-reformierten Landeskirchen angehören und knapp 40 Prozent der römisch-katholischen Kirche. Vergessen wir dabei nicht die anderen christlichen Konfessionen, etwa die Anglikaner, die Christkatholiken und die Orthodoxen.

Basel 

Hier in Basel sind es nun nicht die Mitglieder des Bundesrates, die über ein gemeinsames Verständnis diskutieren. Sondern die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen. Alleine die GEKE vertritt rund 50 Millionen Menschen in über 30 Staaten. Zählt man die Katholikinnen und Katholiken hinzu, vertreten Sie hier im Basler Münster deutlich mehr als eine Milliarde Menschen auf der ganzen Welt.

Wo anders als hier in Basel wäre der richtige Ort, um diese Absicht des gemeinsamen Dialogs offiziell zu erklären? Hier,
• wo von 1431 bis 1449 das Konzil von Basel durchgeführt wurde?
• wo nur wenige Meter vom Münster entfernt im «Haus zur Mücke» das Konklave stattfand, das im November 1439 Papst Felix V. wählte – allerdings als Gegenpapst zu Papst Eugen IV.?
• wo an der äusseren Mauer des Kreuzgangs die Statue des Basler Reformators Johannes Oekolampad steht? Oekolampad wurde 1518, also genau vor 500 Jahren, ein erstes Mal ans Basler Münster berufen.
• Und seine Statue steht heute im Schatten der Linde, die 1989 gepflanzt wurde – von Mitgliedern der Konferenz Europäischer Kirchen und der Europäische Bischofskonferenz während der ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

Tradition und Offenheit

Liebe Gottesdienstgemeinde

Knapp 30 Jahre nach dieser Ökumenischen Versammlung, die zum ersten Mal seit der Reformation alle Kirchen Europas zusammenbrachte, sind heute wieder Vertreter der christlichen Kirchen in Basel vereint.

Christliche Tradition und Offenheit bilden in dieser Stadt ganz offensichtlich einen guten Rahmen für das Miteinander. Und für Toleranz, Verantwortung und die Freiheit jedes Menschen.

Diesen guten Rahmen habe ich zuletzt auch in Genf erlebt, wo ich im letzten Juni Papst Franziskus begrüssen durfte. Der Papst nahm damals an den Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des Ökumenischen Rats der Kirchen teil.

Erneut waren christliche Tradition und Offenheit die richtige Mischung, um aufeinander zuzugehen.

Für ein Land wie die Schweiz, die auf eine lange Tradition der Guten Dienste zurückblicken kann, ist das ein ermutigendes Signal. Denn es bedeutet, dass die Schweiz nicht nur ihren Beitrag leisten kann, wenn es darum geht, politische Konflikte zu lösen.

Wollen wir hoffen, dass die Guten Dienste der Schweiz auch dem besseren Verständnis von Kirche und Kirchengemeinschaft dienen!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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