03.05.2023

Ansprache von Ignazio Cassis, Aussenminister der Schweiz, zur offenen Debatte im UNO-Sicherheitsrat - es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Cassis Ignazio; Departementsvorsteher, Ignazio Cassis

Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

Erlauben Sie mir, als Vertreter der Schweiz eine Erklärung abzugeben.

Zunächst möchte ich den drei Rednerinnen und Rednern für ihre Beiträge danken.

Vor kurzem kehrte ich in meine alte Schule zurück, um über Aussenpolitik zu sprechen.

Die Schüler stellten mir ausschliesslich Fragen über den Krieg und seine Folgen.

Das hat mich tief beeindruckt:

Mir wurde klar, wie unterschiedlich unsere Fragen waren, als ich selbst vor 45 Jahren, in den späten 70er Jahren, an dieser Schule unterrichtet wurde.

Meine Mitschüler und ich waren überzeugt, dass es nie wieder Krieg in Europa geben würde.

Unsere Lehrer und Eltern hatten den Zweiten Weltkrieg erlebt und versicherten uns, dass die internationale Gemeinschaft ihre Lektion gelernt hat.

1992 kündigte Francis Fukuyama in seinem Bestseller «Das Ende der Geschichte» an. Die Globalisierung wurde als ein Faktor für Friedens dargestellt. Es schien, als ob das Ende des Kalten Krieges und die wirtschaftliche Interdependenz uns in ein neues Zeitalter führen würden.

Aber heute herrscht Krieg, immer noch.

•    Wie konnte es dazu kommen?
•    Wie können wir verhindern, dass wir diejenigen sind, die nicht auf die aktuellen Krisen reagieren?

Meine Damen und Herren,

Vor 77 Jahren sagten «vereinte» Nationen, die durch Vertrauen und den Willen zum Wiederaufbau zusammengehalten wurden: Nie wieder!

Und dennoch.

Vielleicht waren wir überheblich?

Wir müssen feststellen, dass wir die Frustrationen und die Veränderungen, die sich überall auf unserem Planeten vollziehen, nicht ausreichend berücksichtigt haben.

Ja, das multilaterale System steht unter Spannung, aber nein, es ist nicht gescheitert!
Der wahre Misserfolg wäre, nichts zu tun.

Es ist an der Zeit, dass der Sicherheitsrat seine Verantwortung wahrnimmt und über sein Handlungspotenzial angesichts der zunehmenden Zahl von Krisen nachdenkt.

Es ist an der Zeit, unsere Instrumente zu verfeinern, um Vertrauen wiederherzustellen und einen dauerhaften Frieden zu konsolidieren. Dies ist das Ziel dieser von der Schweiz organisierten Debatte: die Brücken, die uns verbinden, wiederaufzubauen.

Exzellenzen,

Wo es Vertrauen gibt, ist alles möglich.

Das internationale Recht basiert auf der lateinischen Redewendung Pacta sunt servanda – Vereinbarungen müssen eingehalten werden.

Dieses Prinzip verkörpert das gegenseitige Vertrauen der Parteien, die ihr Wort geben und es auch halten.
Wenn es uns gelingt, dieses Vertrauen wiederherzustellen, bin ich davon überzeugt, dass wir dauerhaft auf den Weg des Friedens zurückkehren können.

Um dies zu erreichen, müssen wir uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen der Multilateralismus einen echten Mehrwert bietet.

Zunächst müssen wir die Anwendung eines gemeinsamen und respektierten normativen Rahmens sicherstellen, der auf den Menschenrechten und dem internationalen öffentlichen Recht basiert.

Die Vorhersehbarkeit, nicht die Willkür, ist die Grundlage für Vertrauen.

Durch Vertrauen können wir einen dauerhaften Frieden anstreben.

Wir werden auch prüfen müssen, wie dieser Rat die Grundlage für eine umfassendere Friedensarchitektur stärken kann.
Diese Architektur muss inklusiv sein und diejenigen einbeziehen, die von der Bevölkerung als demokratisch legitimiert bezeichnet wurden.

Sie muss auch kulturelle Unterschiede respektieren und sich um das historische Erbe kümmern, das uns definiert.

Ein aufgezwungener Frieden ist kein dauerhafter Frieden.

Und schliesslich muss Vertrauen auf der Grundlage konkreter Fakten gewonnen werden.

Die Wissenschaft und neue Technologien bieten uns Möglichkeiten, die Risiken von heute und die Chancen von morgen besser zu antizipieren und zu verstehen.

Wir müssen auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit Antworten aus dem 21. Jahrhundert reagieren.

Meine Damen und Herren
Ungerechtigkeiten und Verstösse gegen die Charta rechtfertigen nicht, dass sich jeder hinter seinen Positionen versteckt.

Im Gegenteil:

Lassen Sie uns den Mut haben, das System gemeinsam zu hinterfragen und zu überdenken, mit dem Ziel, es besser zu machen.

In dieser Überzeugung begrüsst die Schweiz die Initiative des Generalsekretärs, der im nächsten Monat eine «Neue Agenda für den Frieden» vorschlagen wird.

Exzellenzen,

Die heutige Debatte ist eine echte Gelegenheit, Ideen und Vorschläge aus den Mitgliedsstaaten zu sammeln und die Synergien, die uns verbinden, zu nutzen.

Vertrauen wird durch Taten gewonnen, nicht durch Absichten!

In diesem Sinne glaube ich an die Stärke des Multilateralismus.

Ich danke Ihnen.


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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