13.11.2018

Bern, 13.11.2018 – Speech by State Secretary Pascale Baeriswyl at the National Conference on Ratification and Implementation of the Istanbul Convention of 13 November in the Kursaal in Bern.

Speaker: Pascale Baeriswyl

Frau Nationalrätin, Frau Regierungsrätin

Sehr geehrte Damen und Herren

 

Sie erinnern sich: Genf, am 8. August 2018: Fünf junge Frauen werden auf offener Strasse brutal attackiert, eine davon liegt mehrere Tage im Koma. Dieses Verbrechen hat in der ganzen Schweiz Empörung ausgelöst und die öffentliche Debatte zum Thema Gewalt neu entfacht.

Der Vorfall ruft ins Bewusstsein, dass Gewalt gegen Frauen täglich vorkommt, in verschiedensten Formen, in der Schweiz und anderswo, – unabhängig von Alter, sozialer Klasse, Status, Religion und Beruf.

Im Kontext von Gewalt gegen Frauen ist er aber eigentlich untypisch, respektive eher selten, denn am häufigsten erleben Frauen Gewalt da, wo sie eigentlich am meisten geschützt sein müssten: Zu Hause, in den eigenen vier Wänden…. und durch Personen, die sie kennen und häufig lieben.

Schätzungen zufolge erfährt jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch einen Intimpartner. Mindestens 200 Millionen Mädchen und Frauen erlitten eine Genitalverstümmelung. Und fast 750 Millionen Mädchen und junge Frauen werden vor dem 18. Lebensjahr durch ihre Angehörigen verheiratet.

Und diese Formen von Gewalt sind gleichzeitig Ursache und Folge der Geschlechterungleichheit. Gewalt im sozialen Nahraum ist eine der am weitesten verbreiteten Straftaten, sie ist alltäglich wie ein einfacher Diebstahl, und wird gleichzeitig nur selten aufgeklärt und noch seltener bestraft. Aber hinter der Statistik stecken unzählige Geschichten von Opfern und Überlebenden, aber auch von Familien und Gemeinschaften. Ich möchte deshalb unterstreichen: Es ist die Gesellschaft als Ganzes, die von Gewalt betroffen ist. Frauen. Männer. Kinder.

Ab Mitte der 70er Jahre wurde Gewalt an Frauen dank der Frauenhausbewegung vom privaten Problem zum anerkannten gesellschaftlichen Missstand. Es dauerte allerdings bis in die 90er-Jahre, bis die internationale Gemeinschaft davon überzeugt werden konnte, dass Massnahmen dagegen in die Verantwortung des Staates fallen.

So enthielt das UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, das CEDAW, von 1979 keine ausdrückliche Bestimmung zum Thema Gewalt gegen Frauen. Erst 1992 anerkannte der CEDAW-Ausschuss Gewalt als eine Form der Diskriminierung an, die beseitigt werden muss, weil sie verhindert, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer in den Genuss ihrer Rechte und Freiheiten kommen.

Ein Jahr später, 1993, verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Erklärung zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen. Sie anerkannte, dass Gewalt gegen Frauen eine Ausdrucksform der historisch gewachsenen ungleichen Machtverhältnisse ist. Es war das erste internationale Instrument, das sich mit diesem Thema beschäftigte – vor gerade mal 25 Jahren!

Und im selben Jahr ertönte an der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien der Slogan «Frauenrechte sind Menschenrechte». Noch lauter erhallte er 1995 anlässlich der Verabschiedung der Aktionsplattform von Beijing. Und Hillary Clinton, die damalige First Lady, unterstrich in ihrer Rede: “Women’s rights are human rights and human rights are women’s rights”. Seither sind weitere Texte auf internationaler und regionaler Ebene hinzugekommen.

Heute verfügen mindestens 140 Länder über Gesetze gegen häusliche Gewalt und 144 Länder über Gesetze im Bereich der sexuellen Belästigung. Nicht überall werden sie jedoch umgesetzt oder oft entsprechen sie nur teilweise den internationalen Normen und Empfehlungen. So gehen Vergewaltiger in 37 Ländern nach wie vor straffrei aus, wenn sie mit dem Opfer verheiratet sind oder diesem anschliessend die Ehe anbieten.

Die Bewegung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen erfasste in den 70er Jahren auch die Schweiz. Frauenorganisationen – Ältere unter Ihnen erinnern sich oder waren sogar Teil dieser Bewegung - rückten dieses Thema ins Rampenlicht und initiierten konkrete Projekte, die gewaltbetroffenen Frauen Beratung, Hilfe und Zuflucht boten. 1979 wurde in Zürich das erste Frauenhaus der Schweiz eröffnet. Rasch folgten weitere in anderen Schweizer Städten. Der Bedarf war gross.

Als Studentin las ich in einer Zeitung – kurz vor Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes 1993 – einen Artikel der Basler Opferhilfestelle, die mit dem OHG einen Beobachtungsstatus bei Gewaltdelikten gegen Frauen an den Gerichten erhielt, diesen aber aus Ressourcengründen nicht wahrnehmen konnte. So begann mein persönliches Engagement in diesem Bereich. Wir gründeten eine Gruppe, beobachteten während einiger Jahre die Prozesse am Strafgericht und konnten in enger Zusammenarbeit mit der Opferhilfestelle dem Gericht Empfehlungen zum schwierigen Umgang mit diesen Delikten machen, um eine zweite Viktimisierung der Opfer zu vermeiden.

Mit dem Opferhilfegesetz erhielten auch viele der in den 1970er und 80er-Jahren entstandenen Frauenhäuser eine gesetzliche Basis und einen öffentlichen Auftrag. Ihre Arbeit wurde von er Polizei anerkannt. Doch diese positive Anerkennung riskierte, die Verantwortung wieder von der gesellschaftlichen Mitte an die Frauenorganisationen zu delegieren.

Dies war damals der Grund, weshalb wir in Basel, aber auch in anderen Kantonen die Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt gründeten. Den Impuls gaben das Gleichstellungs- und das Männerbüro Basel zusammen. Es ging darum, alle Behörden miteinander an den Tisch zu setzen, damit jede Behörde ihre Verantwortung übernehmen und mit den anderen optimal abstimmen konnte, um zu verhindern, dass Frauen an unzähligen Stellen immer wieder die gleiche Geschichte erzählen mussten. Wir orientierten uns dabei an einem amerikanischen Pionierprojekt, das von einer wunderbaren – inzwischen leider verstorbenen Soziologin, Ellen Pence – initiiert worden war und sehr erfolgreich die Gesellschaft in die Pflicht nahm.

Auch die Rechtsnormen mussten angepasst werden. So wurde in den letzten zwanzig Jahren eine Reihe von Reformen durchgeführt, um sicherzustellen, dass Gewalttäter verfolgt und die Bedürfnisse und Interessen der Opfer besser berücksichtigt werden. Ich denke da u.a. an: die Strafbarkeit von sexueller Nötigung und Vergewaltigung zwischen Ehepartnern und die Verfolgung dieser Straftaten von Amtes wegen; oder die Überarbeitung des Zivilgesetzbuchs, damit Gewalt ausübende Personen aus der Wohnung weggewiesen und Fernhaltemassnahmen verfügt werden können;

Istanbul-Konvention

Wenn ich nun – fast 30 Jahre nach unserer Arbeit im Rahmen des Opferhilfegesetzes und der Gründung von Halt-Gewalt in Basel, so nannten wir unser Interventionsprojekt, sehe, dass wir mit der Istanbul-Konvention ein umfassendes international rechtsverbindliches Übereinkommen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt verhandelt und für die Schweiz ratifiziert haben, stimmt mich das hoffnungsvoll. Der Weg mag noch lange sein, aber dies ist eine wichtige Etappe, zu der viele von Ihnen beigetragen haben. Für dieses Engagement möchte ich danken.

Die Istanbul-Konvention ist innovativ. Sie verpflichtet die Staaten, verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen zu Straftatbeständen zu erheben. Damit wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, die Rechtsnormen zu harmonisieren, damit Gewaltopfer in ganz Europa einen gleichwertigen Schutz geniessen. Die Konvention verfolgt einen dreifachen Ansatz: Gewaltprävention, Opferschutz und strafrechtliche Verfolgung der Täter.

Die Schweiz setzte sich während der Ausarbeitung insbesondere für einen wirksamen Kontrollmechanismus ein, darunter (die unabhängige Expertengruppe) GREVIO. Die Schweiz beabsichtigt, im Hinblick auf die Wahlen vom April 2019, eine Kandidatur für dieses Gremium einzureichen. Das EDA hat eine öffentliche Ausschreibung für dieses Expertenmandat lanciert. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 7.12.2018. Ich ermutige interessierte Personen, Ihre Bewerbungsunterlagen einzureichen.

Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat sich die Schweiz zu einer effizienten Umsetzung verpflichtet. Um ihrer Rechenschaftspflicht in Bezug auf dieses Engagement nachzukommen und ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren, muss sie jetzt die notwendigen Massnahmen zur Förderung einer wirksamen Umsetzung der Konvention ergreifen. Bund und Kantone, viele von Ihnen also und wir auch, stehen in der Pflicht.

Das EDA misst der wirksamen Umsetzung der Istanbul-Konvention einen hohen Stellenwert bei. Das Abkommen gliedert sich nahtlos in die Bestrebungen des Europarats ein, zum Schutz und der Förderung von Menschenrechten in Europa beizutragen. Diese Grundwerte des Europarates liegen uns am Herzen – es sind auch Schweizer Werte. Die Schweiz setzt sich als aktiver Mitgliedstaat des Europarates und als Vertragsstaat der Konvention dafür ein, dass deren Bestimmungen nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Vertragsstaaten umgesetzt werden.

Die Schweiz setzt sich auch seit Jahren sowohl in der Entwicklungs- als auch in der Menschenrechtspolitik und im humanitären Bereich für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ein. Und wir verstärken dieses Engagement weiter: Das EDA hat vor einem Jahr seine erste aussenpolitische Strategie zu Geschlechtergleichstellung verabschiedet. Die Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Frauen ist eine ihrer Prioritäten.

Schluss

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Departemente der Bundesverwaltung, der Kantone und der Zivilgesellschaft. Ich freue mich, alle diese Akteurinnen und Akteure heute hier begrüssen zu dürfen.

Wir alle wissen, dass die Verabschiedung von Übereinkommen und Gesetzen zwar ein wesentlicher, aber nur ein erster Schritt ist. Diese Texte schaffen einen Rahmen und eine Referenz. Sie entfalten aber nur Wirkung, wenn sie bekannt gemacht und anerkannt, diskutiert und mitunter angefochten, genutzt und umgesetzt werden.

Wir stehen somit vor der entscheidenden Phase. Ich erinnere mich, dass wir einmal vor vielen Jahren – ich denke es war am 25. November 2004 – zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen eine grosse Veranstaltung mit der damaligen Bundesrätin und der damaligen Präsidentin von Amnesty International, Irène Khan, organisiert haben. Das Publikum, aber auch die Würdenträgerinnen, formulierten Sätze, die ein Playback Theater umsetzte. Irène Khan prägte damals den Satz «It’s in our hands» und das Theater zeigte viele Hände, aber auch die Kraft und die Energie, das Thema kreativ in unsere Hände zu nehmen. Der Leitsatz ist mir geblieben und mit diesem möchte ich enden: «It’s in ours and in your hands!»

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Last update 29.01.2022

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