«Wasser ist ein grosses Paradox im Tschad»

Artikel, 22.01.2016

Rémadji Mani, seit 2014 nationale Programmbeauftragte für die DEZA im Tschad, ist Gast an der Jahreskonferenz 2016 zum Thema Agenda 2030. Sie nimmt an der Podiumsdiskussion über Universalität in der Praxis – nachhaltiges Wassermanagement im Tschad und in der Schweiz – teil. Wir haben sie im Vorfeld der Konferenz getroffen.

La tchadienne Rémadji Mani, chargée de projet à la DDC, visite le site où est engagé le projet sur la gestion des eaux de ruissellement dans le Tchad sahélien.
Rémadji Mani auf Feldbesuch im Osten des Tschad, wo die DEZA das Projekt «Bewirtschaftung des Abflusswassers im Sahelgebiet des Tschad» durchführt. © GIZ

Der Tschad ist mit zahlreichen Herausforderungen im Wassersektor konfrontiert. In grossen Teilen des Landes herrscht chronische Wasserknappheit, obschon der Tschad über grosse Grundwasservorkommen und Oberflächengewässer verfügt. Die bestehende Infrastruktur reicht nicht aus, um eine gesicherte Wasserversorgung für die ganze Bevölkerung zu gewährleisten. Der Klimawandel und das Bevölkerungswachstum erschweren die Lage zusätzlich. Rémadji Mani verspricht sich viel von der Umsetzung der Agenda 2030. 

Welche Projekte zum Thema Wasser verfolgt die DEZA im Tschad? 

Es gibt kein spezielles Wasserprogramm, aber die DEZA führt verschiedene Projekte in diesem Themenbereich durch. Genauer gesagt sind es vier. Ein Projekt zur Kartierung der Wasserressourcen, das 2015 gestartet wurde, soll den Aufbau eines Wasserinformationssystems und die Produktion eines hydrogeologischen Kartenwerks für den Tschad ermöglichen. 

Das Projekt «Trinkwasser, Hygiene & Sanitärversorgung» soll die Prävalenz von wasserbürtigen Durchfallerkrankungen in gewissen Bezirken reduzieren. Dank neuen Bohrungen, der Sanierung von Trinkwasserstellen und dem Bau von Latrinen bzw. Handwaschstationen hat sich der Gesundheitszustand von 300’000 Personen verbessert. 

Die Stärkung der Weidetierhaltung ist Gegenstand eines weiteren Projekts. Viehzucht ist die Haupteinkommensquelle der Bevölkerung in der Sahel-Sahara-Region des Tschad. Das Projekt kommt 700’000 Personen in drei Regionen zugute. Neben der Unterstützung der Viehzucht wurden bis anhin 100 Weidebrunnen gebaut,10 Teiche angelegt und Weidekorridore über eine Länge von 500 km markiert. 

Schliesslich soll mit einem Projekt zur Bewirtschaftung des Abflusswassers im Sahelgebiet des Tschad die Wüstenbildung vermindert und die Ernährungssicherheit von 100’000 Personen verbessert werden. Durch den Bau von Flussschwellen konnten verschiedene Talsohlen neu gestaltet und Landflächen zurückgewonnen werden. 

Weshalb ist diese tschadisch-schweizerische Partnerschaft wichtig? 

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geldgebern im Tschad. Ich würde sagen, eigentlich ist sie der wichtigste Geber, wenn man die Kontinuität ihrer Unterstützung und das Vertrauen berücksichtigt, das in den über 50 Jahren ihrer Tätigkeit aufgebaut wurde. Die DEZA ist mit innovativen Projekten präsent, die immer zu Ergebnissen führen. Von den tschadischen Behörden werden sie oft als Beispiel genannt. 

Die Schweiz hat dem Tschad geholfen, seine Kooperationsstrategie zu revidieren und die Arbeitsschwerpunkte und Interventionsgebiete festzulegen. Arme ländliche Gemeinschaften werden vorrangig unterstützt. Die Partnerschaft beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Einvernehmen. Das zuständige tschadische Ministerium hat den Ko-Vorsitz im Lenkungsausschuss der Schweizer Programme inne. Probleme werden einvernehmlich zusammen mit den Vertretern der Behörden ermittelt. Die Partnerschaft verläuft reibungslos und ist in den Augen der Bevölkerung nach wie vor wichtig. 

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung erinnert daran, dass 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und weltweit 70% des Wasserverbrauchs auf die Landwirtschaft entfällt. Wie sieht es im Tschad aus? 

52% der Tschaderinnen und Tschader haben Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitärer Grundversorgung. Dieser Anteil variiert allerdings je nach Landesteil. In Tibesti zum Beispiel, im äussersten Norden, liegt der Trinkwasserzugang zwischen 5% und 18%. 19’000 Personen, darunter 15’900 Kinder unter fünf Jahren, sterben jährlich an den Folgen von Durchfallerkrankungen. 90% dieser Todesfälle sind auf verunreinigtes Wasser, mangelnde Hygiene und unzureichende sanitäre Einrichtungen zurückzuführen. Das Land verbraucht jährlich 1,269 Milliarden Kubikmeter Wasser. Die Landwirtschaft allein verbraucht über eine Milliarde Kubikmeter. Der Tschad braucht deshalb zwingend ein ganzheitliches Wassermanagement. 

Hat sich der Zustand der Ressource Wasser und ihre Bewirtschaftung im Tschad mit der Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) im Zeitraum 2000–2015 verändert? 

Die MDG wurden in die nationale Politik integriert und in strategische Ziele überführt. Es wurde ein Leitplan für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (Schéma Directeur pour l’eau et l’assainissement, SDEA) geschaffen. Dieser Masterplan ermöglicht es, den Anstrengungen in diesem Bereich Sichtbarkeit und Kohärenz zu verleihen. Der tschadische Staat hat mit Unterstützung seiner Partner neue Bewässerungszonen und Trinkwasseranlagen geschaffen. Es wurden rund 15’000 Hektar neue Bewässerungsflächen angelegt und der Zugang zu sauberem Trinkwasser hat sich zwischen 2000 und 2015 von 21% auf 52% erhöht. 

Die Reichweite der getroffenen Massnahmen ist jedoch ungenügend. Der Tschad leidet als Sahelland zusätzlich unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels. Noch vor 40 Jahren erstreckte sich der Tschad-See über 25’000 km2. Nun hat er sich auf eine Fläche von weniger als 2000 km2 zurückgezogen. Einige Fachleute argumentieren, dass durch die Austrocknung des Tschad-Sees neues Kulturland entsteht, das zur Ernährung einer Bevölkerung beiträgt, die lokal um das Vierfache zugenommen hat. Aber wie lange noch? Die Menschen, die sich am Tschad-See niederlassen, hat der Klimawandel aus ihrer Heimat vertrieben. 

Wie kann die Umsetzung der neuen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung das Wassermanagement und den Schutz des Wassers verbessern? 

Die Agenda 2030 ist eine Hoffnung für den Tschad. Das Land hat unter der Leitung des Staatschefs einen eigenständigen Beitrag mit dem Titel «Der Tschad, den wir wollen» dazu geleistet. Der nationale Aktionsplan ist in drei Fünfjahrespläne gegliedert. Der erste Fünfjahresplan 2016–2020 ist in Erarbeitung und sieht erhebliche Anstrengungen im Bereich des Zugangs zu Wasser vor. Mehr als 11 Milliarden Dollar werden für zwei Programme zur Verbesserung der Wasserversorgung und zur Förderung einer intensiven, wassereffizienten Landwirtschaft bereitgestellt. Den benachteiligten Regionen wird Vorrang eingeräumt, und es sollen neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. 

Wo muss speziell angesetzt werden, damit das Ziel 6 – die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten – im Tschad bis 2030 erreicht werden kann? 

Der Tschad muss seine Anstrengungen verstärken und mit dem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 1,89 % Schritt halten, um das Ziel 6 der Agenda 2030 zu erreichen. Dies setzt eine bessere Kenntnis der eigenen Ressourcen und der verschiedenen Bedürfnisse voraus. Der Tschad muss die Weidetierhaltung stärken und die Systeme zur Bewässerung der Felder und zum Tränken des Viehs ausbauen, um den Klimarisiken zu begegnen. Die Wald- und Gewässer-Ökosysteme müssen geschützt werden.

Der Ausbau der Wasserinfrastruktur in Städten und Dörfern wird zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung beitragen.