«Mit diesem Systemwandel hat sich auch die Rolle der Schweizer NGOs verändert»
Rahel Bösch, Leiterin der Abteilung Institutionelle Partnerschaften der DEZA, spricht über die Rolle von Schweizer NGOs in der internationalen Zusammenarbeit und erklärt, wieso die aktuellen politischen Diskussionen wenig mit den neuen Programmbeiträgen zu tun haben. Ein Gespräch über die Zusammenarbeit mit Schweizer Hilfswerken, Hintergründe der aktuellen politischen Debatte und eine traditionsreiche Partnerschaft mitten im Systemwandel.
Rahel Bösch, Leiterin der Abteilung Institutionelle Partnerschaften der DEZA, spricht über die Rolle von Schweizer NGOs in der internationalen Zusammenarbeit. © EDA
In der Folge einer unabhängigen Evaluation hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) ihr Vergabesystem für Programbeiträge an Schweizer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) neu gestaltet. Mit dem neuen Zulassungs-, Bewerbungs- und Beurteilungsprozess für Programmbeiträge wurde ein für alle zugänglicher, transparenter und nachvollziehbarer Vergabeprozess realisiert. Ende Februar 2021 wurden die Verträge mit insgesamt 27 Schweizer NGO-Partnern und mit zwei Kompetenzzentren in der Höhe von 270 Millionen Franken für die Periode 2021–2022 unterzeichnet.
Rahel Bösch leitet bei der DEZA die Abteilung Institutionelle Partnerschaften und ist damit verantwortlich für die Partnerschaften mit Schweizer NGOs. Im Interview erklärt sie, was Programmbeiträge sind und wieso die Zusammenarbeit der DEZA mit den Schweizer NGOs ins Visier der Politik geraten ist, weshalb eine klare Abgrenzung zur Informations- und Bildungsarbeit der Organisationen in der Schweiz wichtig ist und mit welchen Herausforderungen sich die internationale Zusammenarbeit konfrontiert sieht.
Im Abstimmungskampf im vergangenen Herbst kamen Schweizer NGOs ins Visier mehrerer politischer Vorstösse. Dabei wurde viel über die finanzielle Unterstützung der NGOs durch die DEZA diskutiert. Zwischenzeitlich sind die Verträge für die Programmbeiträge der Periode 2021–2022 unter Dach und Fach. Ist die Beziehung damit gekittet?
Es gab in der Beziehung DEZA–NGOs gar nichts zu kitten. Weder wurde die Zusammenarbeit der DEZA mit Schweizer NGOs in Frage gestellt, noch standen die Programmbeiträge als solche zur Diskussion. Es ist wichtig, die erfolgreiche Umsetzung des neuen Vergabesystems für Programmbeiträge und daraus resultierend die Unterzeichnung der neuen Verträge von den politischen Diskussionen der letzten Monate zu unterscheiden.
Aber es gab Stimmen, die das Finanzierungsmodell der DEZA im Zusammenhang mit Schweizer NGOs in Frage gestellt haben?
Die politischen Vorstösse in Bezug auf Schweizer Hilfswerke stehen im Zusammenhang mit der Rolle, welche Schweizer NGOs im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) gespielt haben. Die Programmbeiträge kamen dabei ins Visier, weil eine NGO Programmbeiträge für eine Studie im Zusammenhang mit der KVI eingesetzt hat. Der Einsatz von DEZA-Programmbeiträgen für politisches Lobbying war aber schon immer verboten. Der Fehler wurde erkannt, und die NGO hat die Gelder umgehend zurückbezahlt.
Wieso spielen Schweizer NGOs für die internationale Zusammenarbeit der Schweiz (IZA) eine wichtige Rolle?
Mit ihrem langfristigen Engagement in der Armutslinderung sowie in der Förderung von Menschenrechten, Demokratie, Frieden, Sicherheit und nachhaltiger Entwicklung schaffen Schweizer NGOs Perspektiven für die lokale Bevölkerung. So leisten sie einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Entwicklung und die Nothilfe. Sie sind seit Jahrzehnten verlässliche Partner und tragen nicht nur zum guten Ruf der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz bei, sondern sind auch wichtige Akteure für die Umsetzung unserer IZA-Strategie und der Agenda 2030.
Was für einen Mehrwert bringen Schweizer NGOs?
Schweizer NGOs sind einerseits ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft in der Schweiz, andererseits sind sie grösstenteils seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, vor Ort präsent. Sie haben ein starkes Netzwerk mit lokalen Partnerorganisationen aufgebaut und kennen die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in den Partnerländern. Zudem haben NGOs die Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz mitgestaltet und sind dank ihrem Fachwissen und ihrer Tradition ein wichtiger Partner. Ein Umstand, der auch in der neuen IZA-Strategie 2021–2024 bestätigt wurde.
Obwohl die DEZA schon lange mit Schweizer NGOs zusammenarbeitet, hat man diese Zusammenarbeit vor drei Jahren einer Evaluation unterzogen und neue Richtlinien erstellt. Wieso war das notwendig?
Die DEZA beurteilt alle ihre Programme und Projekte regelmässig mittels Evaluationen und stellt sich auch institutionellen Fragestellungen. Dazu gehört es auch, die institutionellen Partnerschaften mit NGOs zu überprüfen. Diese Evaluation hat wichtige Trends aufgezeigt und unter anderem empfohlen, die strategische Ausrichtung der Zusammenarbeit mit den NGOs zu klären und die Vergabe von Programmbeiträgen transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Mit den neuen Richtlinien zur Zusammenarbeit der DEZA mit Schweizer NGOs haben wir genau das erreicht. Mehrwert, Ziel und Prinzipien der Zusammenarbeit sind geklärt, Zugang und Kriterien für Programmbeiträge sind für alle nachvollziehbar und transparent dargelegt. Gerade diese Klarheit und Transparenz sind heute wichtiger denn je.
Wie erklären Sie sich diese wachsende Forderung nach Transparenz und Rechenschaft?
Die NGO-Landschaft und die Rolle der NGOs haben sich in den letzten Jahren ebenso grundlegend verändert wie die gesamte internationale Zusammenarbeit. Unsere Welt ist gekennzeichnet von vielschichtigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, zunehmender Fragilität, Migration, Hungersnöten und einer steigenden Ungleichheit. Während die Komplexität zunimmt, wächst gleichzeitig das Bedürfnis nach verstärkter Rechenschaftsablegung und Transparenz.
Mit welchen neuen Herausforderungen sieht sich die internationale Zusammenarbeit, allen voran die NGOs, konfrontiert?
Alle Akteure der internationalen Zusammenarbeit stehen heute mehr denn je im Rampenlicht. Wirkung und Nutzen der Zusammenarbeit müssen fortlaufend gemessen und kommuniziert werden. Die Politik aber auch die interessierte Bevölkerung will wissen, was in der internationalen Zusammenarbeit konkret erreicht wird. Das hat vor allem mit dem grossen Wandel der IZA zu tun: weg von einem projektbasierten Ansatz, hin zu umfassenden Programmen und der Stärkung von ganzen Systemen, wie beispielsweise im Bereich Bildung oder Gesundheitsversorgung. Während man früher in ein Land ging, um dort den armen Menschen zu helfen, stehen heute die Förderung von Systemen und die sektorübergreifende Zusammenarbeit im Zentrum. Starke Partnerschaften zwischen NGO, Forschung und Privatsektor sowie die Bildung von Konsortien sind gefragt. Zugleich wächst die Konkurrenz unter den NGOs – immer mehr, gerade auch lokale NGOs, erhalten direkten Zugang zu IZA-Mitteln. Und nicht zuletzt definieren die jeweiligen Länder ihre eigene Entwicklung, die Zivilgesellschaft ist weltweit erstarkt und besser vernetzt. Mit diesem Systemwandel hat sich auch die Rolle der Schweizer NGOs verändert. Ihre Rolle als Vermittler von Wissen und Expertise wird wichtiger, das verlangt nach der Nutzung von Synergien und der Bündelung der Kräfte, auch bei den NGOs.
Setzt die DEZA Schweizer NGOs mit den neuen Richtlinien und Verträgen nicht noch mehr unter Druck?
Nein, ganz im Gegenteil: In diesem hochdynamischen und kompetitiven Kontext sind klare Richtlinien und Zielvorgaben für die Zusammenarbeit essenziell. Die Richtlinien der DEZA zur Zusammenarbeit mit Schweizer NGOs und das darauf basierende Vergabesystem schaffen Klarheit, sorgen für Transparenz und ermöglichen gleiche Zugangschancen für alle in der IZA tätigen NGOs. So haben beispielsweise auch kleinere oder jüngere NGOs mit ihren innovativen Programmen die Möglichkeit, durch die Bildung einer Allianz Zugang zu Programmbeiträgen zu erhalten.
Welche Möglichkeiten haben die NGOs, um von der DEZA finanzielle Unterstützung zu erhalten?
Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Aufträgen oder Mandaten, welche dem Beschaffungsgesetz unterliegen und Beiträgen, welche nach dem Subventionsgesetz vergeben werden können. Dazu gehören gezielte Beträge für spezifische Projekte und die Programmbeiträge.
Wieso sind gerade die Programmbeiträge ein wichtiges Unterstützungsinstrument?
Weil im Rahmen von Programmbeiträgen die Schweizer NGOs nicht ein Projekt im Auftrag der DEZA umsetzen, sondern ihr eigenes internationales Programm realisieren. In der Ausgestaltung dieses Programmes sind sie freier. Die Schweizer NGOs werden damit zu kreativen Ideen-Findern, bringen sich aktiv in die Lösung der heutigen und künftigen Herausforderungen ein. Sie können agil und flexibel gerade auch in fragilen Kontexten arbeiten, das hat ihre Reaktion auf die Covid-19-Pandemie bestätigt.
Die Schweiz unterstützt also das Programm der NGOs – nicht die NGOs an und für sich?
Ja, das ist richtig. Mit Programmbeiträgen fördert die DEZA das internationale Programm einer NGO, nicht die Organisation selbst. Ziel der Zusammenarbeit mit den Schweizer NGOs ist die Umsetzung der IZA-Strategie und die Erreichung der Ziele der Agenda 2030.
Bei der Vergabe der neuen Programmbeiträge gab insbesondere ein Aspekt zu reden, nämlich der Hinweis, dass Schweizer NGOs keine Informationskampagnen finanzieren dürfen. Der mediale Aufschrei war gross, es war von Maulkorb die Rede. Verbietet die DEZA den NGOs die Informationsarbeit?
Auf keinen Fall! Schweizer NGOs leisten im Inland einen wichtigen Beitrag zur Information und Sensibilisierung der Gesellschaft. Das ist eine zentrale Aufgabe der NGOs und auch in den Richtlinien als Mehrwert bestätigt. Das bedeutet aber nicht, dass diese Arbeit mit Programmbeiträgen finanziert werden soll. Verschiedene Beispiele zeigen, dass die klare Abgrenzung zwischen Information und politischem Lobbying schwierig ist. Deshalb haben wir in den neuen Verträgen die Vorgabe gemacht, dass für die Informations- und Bildungsarbeit der NGOs in der Schweiz keine DEZA-Programmbeiträge verwendet werden. Wir wollen, dass diese Mittel vollumfänglich in den Entwicklungs- und Transitionsländern eingesetzt werden und dort ihre Wirkung entfalten. Um ihre Unabhängigkeit zu wahren, finanzieren übrigens zahlreiche namhafte Hilfswerke seit jeher diese Inlandarbeit aus eigenen Mitteln, respektive aus spezifisch dafür vorgesehenen Spenden, und nicht aus DEZA-Geldern.
Das bedeutet, dass die Schweizer NGOs weiterhin selbstständig arbeiten dürfen?
Selbstverständlich! Nichtregierungsorganisationen sind – wie der Name sagt – nichtstaatliche Organisationen. Sie sind unabhängig. Das zeichnet sie aus, das macht sie stark. Diese Unabhängigkeit ist wichtig, auch finanziell. Die Tatsache, dass die Verträge für die Programmbeiträge wie geplant per Anfang dieses Jahres abgeschlossen werden konnten, zeigt, dass die Zusammenarbeit mit den Schweizer NGOs und ihre Unabhängigkeit geschätzt und anerkannt werden. Diese Unabhängigkeit müssen wir bewahren, wenn wir als eigenständige Akteure auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen, um gemeinsam die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen.
Im Gespräch mit Rahel Bösch
Rahel Bösch (Ethnolgin Lic. Phil I) hat in München, Freiburg im Breisgau und Zürich Ethnologie, Soziologie und Philosophie studiert und sich zur Journalistin ausbilden lassen. In den 90er-Jahren war sie für verschiedene Schweizer Hilfswerke im Migrations- und Friedensförderungsbereich tätig, bevor sie vor 20 Jahren als Governance Adviser in die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wechselte. Unter anderem hat sie als IZA-Chefin das DEZA-Landesprogramm- und -Büro in Kambodscha aufgebaut, das Regionalprogramm im Mittleren Osten geleitet und das Büro in Albanien als Stellvertreterin geführt. Seit 2017 leitet Rahel Bösch die Abteilung Institutionelle Partnerschaften bei der DEZA.
Die Schweizer Partner-NGOs der DEZA
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat mit 27 Schweizer NGO-Partnern und zwei Kompetenzzentren Verträge für die Programmbeiträge der Periode 2021–2022 unterzeichnet. Die Programmbeiträge belaufen sich auf eine Gesamthöhe von 270 Millionen Franken. Die 27 Schweizer NGO-Partner setzen sich zusammen aus grossen NGOs, Allianzen, Dachverbänden und kantonalen Föderationen – darunter 10 grosse Hilfswerke, 7 NGO-Allianzen mit total 17 NGOs, 3 Dachverbände mit 21 Organisationen und 7 kantonale Föderationen.