Mit dem Bekanntwerden der Zustände im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos rückten die Schwachstellen des aktuellen europäischen Asylsystems ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Das Kernstück dieses Systems - die Dublin-Verordnung, welche die Verantwortung für die Aufnahme der Schutzsuchenden und die Asylverfahren hauptsächlich den Staaten an den Schengen-Aussengrenzen auferlegt - weist erhebliche Mängel auf. Im September 2020 wagte die Europäische Kommission einen Neubeginn und präsentierte den Rahmen für eine neue Migrations- und Asylpolitik.
Schutz und Würde von Vertriebenen
Die menschenrechtlichen Risiken, die dem Reformpaket anhaften, sind beträchtlich. Gegenwärtig diskutiert der Rat für Justiz und Inneres die Legislativvorschläge, und die Schweiz sitzt mit am Tisch. In ihrem Positionspapier empfiehlt die EKM, dass sich die Schweiz in allen europäischen Gremien, in denen sie mitreden und mitgestalten kann, dezidiert für den Schutz und die Würde von Vertriebenen einsetzt: entlang der Migrationsrouten, beim Grenzübertritt, in Transitzonen und dort, wo sie ankommen. Um die Risiken zu verringern, braucht es sichere Zugänge zum Asylverfahren, legale Migrationswege und echte Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten.
Mitverantwortung der Schweiz
Die Schweiz ist an Schengen und Dublin assoziiert, nimmt deshalb im Rat für Justiz und Inneres Einsitz und gestaltet dort die europäische Migrations- und Asylpolitik mit. Auch in den europäischen Agenturen, die für das Asylverfahren, für die Überwachung der Schengen-Aussengrenzen und für die Rückführungen zuständig sind - EASO und Frontex - beteiligt sich die Schweiz finanziell und personell und ist in den Verwaltungsräten der beiden Agenturen vertreten. In den kommenden Jahren wird die Schweiz zudem voraussichtlich 200 Millionen Franken für Projekte zur Stärkung des Grenzmanagements in ausgewählten Mitgliedstaaten einsetzen.
Reformvorschläge zur europäischen Migrations- und Asylpolitik
Die europäischen Mitgliedstaaten taten sich seit Jahren schwer, sich auf einen verbindlichen Verteilmechanismus als Grundlage für die solidarische Zusammenarbeit zu einigen. Mehrmals wurde das Dublin-System revidiert, die Reform ist jedoch seit Jahren blockiert. Die aktuellen Reformvorschläge der Europäischen Kommission zielen auf eine stärkere Vergemeinschaftung. Die Prozesse der Agenturen EASO und Frontex sollen besser miteinander verknüpft, die Aussengrenzen stärker überwacht und die Rückkehr gefördert werden. Noch bevor Schutzsuchende in den Schengen-Raum einreisen, soll in Transitzonen entschieden werden, ob für sie ein beschleunigtes Grenzverfahren zur Anwendung kommt, ob sie in Transit- oder Herkunftsstaaten zurückgeführt oder ob sie umgesiedelt werden. Die Ersteinreiseländer sollen auch in Zukunft die Verantwortung für die Asylverfahren tragen. Auf der Basis eines verbindlichen Schlüssels soll künftig jeder Staat selbst entscheiden können, wie er andere Staaten in Krisensituationen unterstützen will: Schutzsuchende aufnehmen, sich an Rückführungen beteiligen oder im Hinblick auf das Migrationsmanagement Sachhilfen leisten. Noch ist offen, ob und wie diese Reformvorschläge umgesetzt werden.
Weiterführende Informationen
Positionspapier «Ein neuer Rahmen für eine europäische Migrations- und Asylpolitik» der EKM
Adresse für Rückfragen:
Sibylle Siegwart, Eidgenössische Migrationskommission EKM, T +41 58 465 85 02, M +41 79 877 55 32, sibylle.siegwart@ekm.admin.ch