Interview mit Ingeborg Tichy-Luger, Botschafterin des Ballettclub Wiener Staatsballett


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Artikel, 02.11.2020

Mit dem neuen Schweizer Ballettdirektor und Chefchoreographen Martin Schläpfer an der Wiener Staatsoper hat die österreichische Kulturlandschaft ein Stück mehr Schweizer Kunstschaffen dazugewonnen. Wir haben die Botschafterin des Ballettclub Wiener Staatsballett, Ingeborg Tichy-Luger, getroffen und sie über die neue «swissness» an der Staatsoper, den Ballettclub und die Beweggründe, sich mit der fragilsten aller Künste zu befassen, befragt.

Claudine Schoch (CH) und Damenensemble proben für Martin Schläpfers «4»
Claudine Schoch (CH) und Damenensemble proben für Martin Schläpfers «4» © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Liebe Frau Tichy-Luger, mit Beginn der Spielzeit 2020/21 brachte die neue Direktion – Dr. Bogdan Roščić als Direktor der Wiener Staatsoper und Martin Schläpfer als Direktor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts – den bisher als private Kulturinitiative geführten Ballettclub mit seinen Projekten und Zielen unter das Dach des Wiener Staatsballetts...
Dass der Ballettclub und ich selbst – als Gründerin der Kulturinitiative im Jänner 1999 und nunmehrige Botschafterin des Ballettclubs – seit September 2020 dem Wiener Staatsballett angehören, ist eine grosse Ehre, Verantwortung und Herausforderung!
Seit mehr als 21 Jahren unterstützt der Ballettclub das Ballett an der Wiener Staatsoper und – einhergehend mit der Eingliederung im Jahr 2005 – auch jenes an der Volksoper Wien. Durch den Zusammenschluss wurde eine der weltweit grössten Compagnien geschaffen: das Wiener Staatsballett. 

Was war Ihre Motivation, einen Club für Ballettliebhaber und -förderer zu gründen?
 
Ballett ist eine fragile Kunst, und aufgrund der physischen Möglichkeiten haben Tänzerinnen und Tänzer die kürzeste Karriere aller Kunstausübenden – umso wichtiger ist es, sie zu fördern und zu unterstützen.
Von Beginn an war dem Ballettclub die ideelle Unterstützung und finanzielle Förderung des Tänzernachwuchses ein Herzensbedürfnis – er hat junge, talentierte Compagnie-Mitglieder mit dotierten Förderpreisen ausgezeichnet, Studierende der Ballettakademie unterstützt und als Initiator und Organisator einer eigenen Veranstaltungsreihe für «Junge Choreographen» aus der Compagnie ganz besonders zur Förderung und Bekanntheit der eigenkreativen Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts und zur Entdeckung von Newcomern beigetragen.
Bisher wurden vom Ballettclub 57 Stücke selbst produziert und finanziert. Manche dieser Choreographien konnten auch im Ausland gezeigt werden, und einige der vom Ballettclub hiermit entdeckten Talente haben bereits international als Choreographen reüssiert.
Für eine Weiterführung dieses wichtigen Projekts des Ballettclubs ab der kommenden Spielzeit gibt es bereits erste Gespräche dank Martin Schläpfer, der auch an seinen früheren Wirkungsstätten den Choreographen-Nachwuchs gefördert hat.

Als Schweizerische Botschaft in Österreich freuen wir uns natürlich besonders über jene zwei Schweizer Kunstschaffenden, Martin Schläpfer und Philippe Jordan, die mit Beginn dieser Saison ihre Tätigkeit als Direktor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts beziehungsweise als Musikdirektor der Wiener Staatsoper aufgenommen haben. Ihr Augenmerk, liebe Frau Tichy-Luger, wird besonders der Arbeit von Martin Schläpfer gelten...
 
Ich verfolge das grandiose Spektrum der Kreationen von Martin Schläpfer, dessen Oeuvre über 70 vielfach prämierte Werke umfasst, schon seit langem, geniesse aber ebenso die Kunst von Maestro Philippe Jordan.
Für Martin Schläpfer ist Musik eine zentrale Basis seines Schaffens. Ob grosse Sinfonie oder kammermusikalische Miniatur – die von ihm gewählten Partituren liefern die Energien für seine spannungsgeladenen Ballette, und er sagte mir in einem Interview: «Ich hoffe sehr, dass Philippe Jordan Ballett dirigieren wird. Wir haben uns schon darüber unterhalten und der Wunsch ist da. Es ist natürlich auch eine Frage der Planung» – und betonte weiters: «Tanz ohne Musik ist für mich undenkbar. Ich bin aber auch nicht jemand, der sich ihr unterordnet. Es geht nicht darum zu sagen, Musik sei grösser als der Tanz, sondern ich bin davon überzeugt, dass sich diese beiden Kunstgattungen gegenseitig bedingen.»

Aufgrund des aktuellen Lockdowns kann die erste Uraufführung von Martin Schläpfer für das Wiener Staatsballett im Rahmen der Ballettpremiere «Mahler, live» nun nicht wie vorgesehen am 24. November 2020 an der Wiener Staatsoper gezeigt werden. 
Dieser Lockdown ist eine enorme Herausforderung und Zäsur für die Kultur in ganz Europa und darüber hinaus. Glücklicherweise darf in Österreich weiterhin geprobt werden, sodass in den kommenden Wochen des Lockdowns alle Anstrengungen von der Wiener Staatsoper unternommen werden, um in Planung befindliche Premieren nach der Schliessung zum frühest möglichen Zeitpunkt auf der Bühne zeigen zu können.

Die Premiere «Mahler, live» präsentiert Martin Schläpfers Uraufführung «4» zu Gustav Mahlers 4. Symphonie und Hans van Manens «Live» als Erstaufführung an der Wiener Staatsoper. Gustav Mahlers grandiose Komposition mit ihrem facettenreichen, doppelbödig lesbaren musikalischen Aufbau hat Martin Schläpfer zu seiner neuen Kreation inspiriert, und er nimmt diese zum Anlass, alle 102 Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts gemeinsam choreographisch zusammenführen.

Wie bereitet sich der Ballettclub auf die erste Wiener Uraufführung des neuen Ballettchefs vor?
Leider fallen zwei interessante November-Veranstaltungen des Ballettclubs nun dem Lockdown zum Opfer. Ich bedauere dies ganz besonders, da es sich um mein erstes Ballettclub-Künstlergespräch mit Martin Schläpfer im Gustav Mahler-Saal der Wiener Staatsoper und um den Besuch einer Bühnenprobe zu «Mahler, live» handelt. Es ist jedoch bereits angedacht, diese Veranstaltungen auf einen Zeitpunkt nach dem Lockdown zu verschieben.

Was erwartet das Publikum in Martin Schläpfers erster Spielzeit 2020/21? 
«
Das Wiener Staatsballett ist eine Weltadresse, und es hat selbstverständlich die ganze Palette an Ausdrucksformen und Stilen zu zeigen», formuliert Martin Schläpfer seinen Anspruch an den Spielplan der Compagnie. Dem entsprechend finden sich im Repertoire weiterhin die grossen klassischen Handlungsballette, wie «Coppélia», «La Fille mal gardée», «Giselle» und der mit Wien eng verbundene, weil hier uraufgeführte Ballettklassiker schlechthin, Rudolf Nurejews «Schwanensee».

Neben der Uraufführung «4« und der Begegnung mit weiteren Werken von Martin Schläpfer bereichern Premieren und Werke wichtiger Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts mit verschiedenen choreographischen Handschriften den Spielplan.

Die Vielfalt im künstlerischen Schaffen von Martin Schläpfer zeigt sich ebenfalls darin, dass er als Schweizer auch das Kolorit seiner Heimat in einige seiner Choreographien verwoben hat. 
Martin Schläpfer ist fest mit seiner Schweizer Heimat verwurzelt. Als Tänzer wurde er in jugendlichem Alter bei einer Kür auf dem Eisfeld in St. Gallen von Marianne Fuchs für das Ballett entdeckt und zwei Jahre später bereits mit dem Prix de Lausanne als bester Schweizer Tänzer ausgezeichnet.

Nach seinem Tänzerabschied und Wechsel ins Fach des Pädagogen, Ballettdirektors und Chefchoreographen hat Martin Schläpfer zahlreiche wichtige internationale Auszeichnungen aber auch viele Kulturpreise aus der Schweiz erhalten: 2003 den Tanzpreis der Heinz Spoerli Stiftung, 2013 den Schweizer Tanzpreis, voriges Jahr, 2019, wurde ihm der Grosse Kulturpreis der St. Gallischen Kulturstiftung verliehen.

Mit seinen Choreographien kreierte Martin Schläpfer auch einige  Hommagen an seine Schweizer Heimat, wie beispielsweise mit den «Appenzellertänzen» oder dem Solo «De Claudine z’lieb» zu Musik von Sepp Walser für die ehemalige Schweizer Schülerin der Ballettschule des Opernhauses Zürich, Claudine Schoch, die er nun als Erste Solotänzerin ans Wiener Staatsballett geholt hat.

Aktuell ist die Schweiz im Wiener Staatsballett vertreten durch die Kostümbildnerin Catherine Voeffray für Martin Schläpfers «4» und «Ein Deutsches Requiem» oder die Corps-Tänzerin Céline-Janou Weder, mit der vor einiger Zeit in diesem Newsletter ein Interview veröffentlicht wurde. 

Wenn ich dem Ballettclub Wiener Staatsballett beitrete, was erwartet mich dann? 
Ballett ist eine Kunst, die über ein grosses Erbe verfügt, aber auch faszinierende Impulse für unsere Gegenwart gibt und Menschen jeden Alters und aller Nationen anspricht. Mit zahlreichen Angeboten an seine Mitglieder ist der Ballettclub eine wichtige Initiative im Bereich der Kulturvermittlung, des kulturellen Dialogs und der Vernetzung.

Der Ballettclub bietet seinen Mitgliedern ein vielfältiges Programm. Als Mitglied kann man bei den Veranstaltungen in direkten Dialog mit Martin Schläpfer treten, die Arbeit der Compagnie unmittelbar miterleben, neue Einblicke in die Welt des Balletts erlangen und Tanzkunst von Weltklasse aus nächster Nähe verfolgen.

Geplant sind exklusive Künstlergespräche mit Martin Schläpfer, Balázs Delbó und Louisa Rachedi, weiters Probenbesuche und Werkeinführungen, ein Filmabend über Paul Taylor, ein Ballettclub-Salon und vieles mehr! Hinzu kommen Vorteile wie u.a. das Angebot von bevorzugter Kartenbestellung und laufende Information durch unseren Newsletter.

Der aktuelle Lockdown stellt das Kulturleben vor enorme Herausforderungen.
Das Wiener Staatsballett braucht Ihre Unterstützung: Werden Sie Mitglied des Ballettclubs.

Interessenten können zwischen mehreren Basis- und Förderer-Mitgliedschaften wählen. Weitere Informationen zur Mitgliedschaft und das detaillierte Programm für Mitglieder des Ballettclubs finden Sie unter: https://www.wiener-staatsoper.at/ballettclub/. Bei Interesse freue ich mich auf Ihre Nachricht unter ballettclub@wiener-staatsballett.at.

Vielen Dank für das Interview, liebe Frau Tichy-Luger! Wir freuen uns über das Angebot des Ballettclubs sehr und hoffen, dass wir einander schon bald im Ballett begegnen werden!