Die Schweiz regelt ihre Beziehung zum Vereinigten Königreich seit dem 1. Januar 2021 mit neuen bilateralen Abkommen. Davor beruhte sie in wichtigen Bereichen wie Handel oder Migration auf den bilateralen Verträgen Schweiz–EU. Da diese nun nicht mehr auf das UK anwendbar sind, hat der Bundesrat neue Abkommen abgeschlossen: Mit seiner «Mind the gap»- Strategie will er rechtliche Lücken vermeiden und gegenseitige Rechte und Pflichten erhalten.
Beziehungen Schweiz–UK nach dem Brexit
- Vorläufige Anwendung Sozialversicherungsabkommen (1. November)
- Polizeikooperationsabkommen in Kraft (14. Oktober)
- Unterzeichnung Sozialversicherungsabkommen (9. September)
- Abkommen gegenseitige Anerkennung AEO-Status in Kraft (1. September)
- Neue Abkommen Schweiz–UK werden angewandt (1. Januar)
- Vorläufige Anwendung Handels- und Kooperationsabkommen EU-UK (1. Januar)
- Ende der Übergangsperiode (31. Dezember)
- Unterzeichnung Handels- und Kooperationsabkommen EU-UK (30 Dezember)
- Unterzeichnung Abkommen über Sicherheitsverfahren für den Austausch und den Schutz von Verschlusssachen EU-UK («Geheimschutzabkommen», 30 Dezember)
- Unterzeichnung Abkommen UK-Europäische Atomgemeinschaft (30 Dezember)
- Unterzeichnung gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Zusammenarbeit im Migrationsbereich (21. Dezember)
- Unterzeichnung Polizeikooperationsabkommen (15. Dezember)
- Unterzeichnung Abkommen zur Mobilität von Dienstleistungserbringern (14. Dezember)
- Unterzeichnung gemeinsame Erklärung über die Absicht der gegenseitigen Öffnung der Märkte für Finanzdienstleister (30. Juni)
- Formeller Austritt des UK aus der EU (31. Januar)
- Unterzeichnung Abkommen über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, infolge des Wegfalls des Freizügigkeitsabkommens (25. Februar)
- Unterzeichnung Handelsabkommen (11. Februar)
- Unterzeichnung Strassenverkehrsabkommen und Versicherungsabkommen (25. Januar)
- Unterzeichnung Luftverkehrsabkommen (17. Dezember)
- Einleitung Austrittsverfahren gemäss Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) durch das UK (29. März, ursprünglich festgelegtes Austrittsdatum: 29.03.2019)
- Verabschiedung «Mind the gap»-Strategie durch den Bundesrat (19. Oktober)
- Entscheid der britischen Bevölkerung, aus der EU auszutreten, «Leave» 51,9% (23. Juni)
2021
2020
2018
2017
2016
Elf Monate nach dem EU-Austritt des UK, dem Brexit, lief am 31. Dezember 2020 die zwischen London und Brüssel vereinbarte Übergangsperiode aus. Das UK hat den EU-Binnenmarkt und die EU-Zollunion verlassen, und internationale Abkommen der EU gelten nicht mehr für das UK. Damit traten auch die Beziehungen der Schweiz zum UK in eine neue Phase. Während in der Übergangsperiode die bilateralen Verträge Schweiz–EU unverändert auf das UK anwendbar blieben, sind sie auf den Jahreswechsel weggefallen. Seit jenem Zeitpunkt greifen die vorgesehenen Nachfolgeregelungen, darunter insbesondere mehrere neue schweizerisch-britische Abkommen.
Diese Lösungen sind auf Schweizer Seite das Ergebnis der «Mind the gap»-Strategie des Bundesrats, die dieser im Oktober 2016 beschloss, wenige Monate nach der britischen Volksabstimmung über den Brexit vom 23. Juni 2016. Er bezweckte damit, die zwischen der Schweiz und dem UK geltenden Rechte und Pflichten wo möglich zu wahren und allenfalls auszubauen. Zur Koordinierung setzte er eine interdepartementale Steuerungsgruppe unter der Leitung des EDA ein.
Die Schweiz konnte zusammen mit dem UK das gegenwärtige rechtliche Verhältnis zu grossen Teilen sicherstellen. Insgesamt hat der Bundesrat neun Abkommen mit der britischen Regierung ausgehandelt.
Das Luftverkehrsabkommen garantiert die lückenlose Weiterführung der bestehenden Regelungen für die Luftfahrt und sichert damit den Fluggesellschaften die geltenden Verkehrsrechte. Das Abkommen trat am 1. Januar 2021 in Kraft.
Das Strassenverkehrsabkommen bestimmt, dass im Güterverkehr auf eine Bewilligungspflicht verzichtet und der gegenseitige Zugang für Güter- und Personentransporte weitergeführt werden kann. Es trat am 1. Januar 2021 in Kraft.
Das am 25. Januar 2019 unterzeichnete Abkommen bestimmt, dass im Güterverkehr auf eine Bewilligungspflicht verzichtet und der gegenseitige Zugang für Güter- und Personentransporte weitergeführt werden kann. Weiterhin nicht zulässig ist die Kabotage, der Güter- und Personentransport innerhalb des jeweils anderen Staates. Es trat am 1. Januar 2021 in Kraft.
Das am 11. Februar 2019 unterzeichnete Abkommen überführt mehrere Abkommen mit der EU im Wirtschafts- und Handelsbereich in das künftige Verhältnis Schweiz–UK. Es umfasst das Freihandelsabkommen von 1972, das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen von 1999, das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen MRA von 1999, das Landwirtschaftsabkommen von 1999, das Betrugsbekämpfungsabkommen von 2004 sowie das Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit ZESA von 2009.
Das Handelsabkommen trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Da jedoch einige inkorporierte Abkommen bzw. Abkommensteile auf der Harmonisierung der Vorschriften zwischen der Schweiz und der EU beruhen, kommen diese vorläufig noch nicht zur Anwendung. Sie können nur dann angewendet werden, wenn die EU und das UK analoge Vertragslösungen auf der Basis harmonisierter Standards vereinbaren. Dies betrifft das ZESA, Sektoren des Agrarabkommens (z.B. das Veterinärabkommen) sowie die meisten Sektoren des MRA mit Ausnahme der Kapitel Kraftfahrzeuge, gute Laborpraxis, gute Herstellungspraxis für Arzneimittel (die über zwei Drittel des Handelsvolumens abdecken).
Am 25. Februar 2019 wurde das Abkommen unterzeichnet, das die im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens (FZA) bis 31.12.2020 erworbenen Rechte (z.B. Aufenthaltsrechte, Sozialversicherungsansprüche, Anerkennung von Berufsqualifikationen) von Schweizer/innen im UK und für britische Staatsangehörige in der Schweiz schützt. Da auf Schweizer Seite der innerstaatliche Genehmigungsprozess für dieses Abkommen noch läuft, wird das Abkommen seit dem 1. Januar 2021 vorläufig angewendet. Ergänzt wird es im Bereich der sozialen Sicherheit durch einen Beschluss des Gemischten Ausschusses Schweiz–EU des FZA, der den Schutz der Rechte auf Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten ausweitet.
Im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen, können Personen, die noch kein Gesuch eingereicht haben oder sich in Ausbildung befinden, bis zum 31. Dezember 2024 eine Anerkennung ihrer Qualifikationen beantragen. Diese wird anschliessend gemäss den Kriterien des FZA geprüft, womit sich in diesem Bereich kurzfristig für schweizerische und britische Staatsangehörige im Vergleich zur Situation vor dem Brexit nichts ändert.
Das am 14. Dezember 2020 unterzeichnete Abkommen betrifft die kurzfristige grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung durch natürliche Personen – z. B. IT-Experten oder Ingenieure – und regelt deren Zugang und befristeten Aufenthalt. Britische Dienstleistungserbringer erhalten in der Schweiz einen Zugang von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Kalenderjahres, Schweizer Dienstleistungserbringer in UK 12 Monate innerhalb einer Periode von 24 Monaten (durch Marktzugangsverpflichtungen in über 30 Dienstleistungssektoren und weitere Vorzugsbedingungen) Zudem enthält das Abkommen Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen. Das Abkommen ist vorerst auf zwei Jahre befristet und lässt sich von beiden Seiten gemeinsam verlängern. Es wird seit dem 1. Januar 2021 vorläufig angewandt.
Am 14. April 2021 hat der Bundesrat das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung des zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (Authorised Economic Operator, AEO) mit dem UK genehmigt. Das Abkommen soll Schweizer Unternehmen mit dem AEO-Status den Handel mit dem UK erleichtern (und umgekehrt) und technische Handelshemmnisse abbauen. Unternehmen mit AEO-Status gelten als besonders vertrauenswürdig, weshalb sie Privilegien bei sicherheitsrelevanten Zollkontrollen geniessen und Vereinfachungen bei der Zollabfertigung in Anspruch nehmen können. Das Abkommen ist am 1. September 2021 in Kraft getreten.
Am 15. Dezember 2020 wurde das Abkommen unterzeichnet, welches die Zusammenarbeit mit den britischen Polizeibehörden stärkt und vertieft, insbesondere in der Kriminalitäts- und der Terrorbekämpfung. Damit werden die innere Sicherheit beider Länder gestärkt und die Beziehungen zum UK weiter ausgebaut («Mind the gap-Plus», vgl. unten). Das Abkommen ist am 14. Oktober 2021 in Kraft getreten.
Am 11. August 2021 genehmigte der Bundesrat das Abkommen zur Koordinierung der Sozialversicherungen. Das Abkommen gewährt den Versicherten weitgehende Gleichbehandlung und einen erleichterten Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit. Zudem sollen Überversicherungen und Versicherungslücken für Personen, die mit den Sozialversicherungssystemen der Schweiz und des UK in Berührung kommen, vermieden werden. Das Abkommen wird seit dem 1. November 2021 vorläufig angewandt.
«Mind the gap»-Plus
Neben der Sicherung der Kontinuität sieht die «Mind the gap»-Strategie auch einen möglichen Ausbau und eine Vertiefung der Beziehungen zum UK («Mind the gap-Plus») vor. Dazu werden zurzeit Bereiche diskutiert, in denen dies möglich ist und ein gegenseitiges Interesse besteht.
Eine gemeinsame Erklärung vom 30. Juni 2020 sieht eine engere Kooperation auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen vor. Mit einer weiteren Erklärung vom 21. Dezember 2020 beabsichtigen die Schweiz und das UK, Wege zur Stärkung der Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu erkunden. Im Handelsabkommen ist zudem vorgesehen, dass die beiden Länder Gespräche über eine Weiterentwicklung und Vertiefung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen aufnehmen.
Da Ende 2020 die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und dem UK auslief, ist die Arbeitsmarktzulassung seit dem 1. Januar 2021 je durch die nationalen Gesetzgebungen geregelt. Auf Schweizer Seite ist dies das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG). Der Bundesrat hat für 2021 und 2022 jeweils separate Kontingente von 3500 Erwerbstätigen aus dem UK beschlossen. Für 2023 wurden erneut Kontingente von 3500 Erwerbstätigen aus dem UK beschlossen.
Seiten zum Brexit der involvierten Departemente und Ämter
- Staatssekretariat für Wirtschaft SECO
- Eidgenössische Zollverwaltung EZV
- Staatssekretariat für Migration SEM
- Bundesamt für Sozialversicherungen BSV
- Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI
- Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL
- Bundesamt für Verkehr BAV
- Bundesamt für Justiz zu Brexit und Lugano-Übereinkommen
- Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF
- Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter EDÖB
Allgemeine Informationen
Brexit: Informationsblatt (PDF, 5 Seiten, 140.5 kB, Deutsch)
Dokumente
Abkürzungsverzeichnis zur Europapolitik (PDF, 10 Seiten, 91.8 kB, Deutsch)
Abkommen über die gegenseitige Anerkennung des AEO-Status, 14.04.2021
Abkommen über die Mobilität von Dienstleistungserbringern, 14.12.2020
Abkommen über Rechte, die unter dem FZA erworben worden sind, 25.02.2019
Abkommen Luftlinienverkehr, 17.12.2018
Grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr auf der Strasse, 25.01.2019
Abkommen Direktversicherungen mit Ausnahme Lebensversicherung, 25.01.2019
Begleitender Beschluss zum Abkommen über Direktversicherungen
Absichtserklärung zur Vertiefung der Zusammenarbeit im Polizei- und Justizbereich, 10.07.2019