«Es braucht jetzt die Solidarität von jedem Einzelnen»
In einem Interview mit der Weltwoche blickt Bundesrat Ignazio Cassis auf das zu Ende gehende Jahr zurück. Angesichts der Coronakrise, die noch lange nicht überwunden ist, hebt Ignazio Cassis die Entscheide des Bundesrates, die Notwendigkeit einer solidarischen Welt und die Stärken des Schweizer Föderalismus hervor. Er spricht auch über die nächsten Schritte im Europa-Dossier und die Bedeutung eines guten Kompasses für die Ausrichtung der Schweizer Aussenpolitik.
In einem Interview mit der Weltwoche spricht Bundesrat Ignazio Cassis über die aktuelle Coronakrise, das Europa-Dossier und die aussenpolitische Strategie der Schweiz. © FDFA
Kurz vor Jahresende überstürzen sich die Ereignisse, und die Coronakrise ist leider noch nicht überwunden. In einem Interview mit der Weltwoche blickt Bundesrat Cassis auf ein Jahr zurück, «in dem wir viel Leid erlebten». Er spricht aber auch von Hoffnung: «Der Jahreswechsel ist ein Symbol», sagt er. «Wir schliessen eine Tür und öffnen eine neue.»
«Die Realität ist die Schweiz»
Hat der Bundesrat im Panikmodus agiert? Laut dem Vorsteher des EDA handelt der Bundesrat überlegt. Die Corona-Situation ändere sie sich täglich. Der Bundesrat verfolge nur ein Ziel: Mit den kleinsten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen aus dieser Seuche herauszukommen. Für Bundesrat Cassis ist eine gegenseitige und globale Solidarität für die Bekämpfung der Pandemie wesentlich. Die Schweiz hat von den Erfahrungen ihrer Nachbarn gelernt. «Letztlich gehen wir aber unseren eigenen Weg. Dabei orientieren wir uns an der Realität. Die Realität ist die Schweiz», betont er.
Bei der Frage zum Föderalismus in Krisenzeiten verweist der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) darauf, dass die getroffenen Massnahmen diese Besonderheit der Schweiz berücksichtigen. «Der Föderalismus ist intakt. Die Schweiz mit ihren Sprachen und Kulturen hätte nie den Zusammenhalt, den sie hat, ohne die Autonomie der Kantone.»
Institutionelles Abkommen mit der EU und aussenpolitische Strategie
Was das Europa-Dossier betrifft, betont der EDA-Vorsteher die Bedeutung eines institutionellen Abkommens. «Zufrieden wäre ich, wenn wir ein gutes Abkommen hätten, das unseren bilateralen Weg sichert», sagt er und erinnert daran, dass die Schweiz einen von zwei Franken mit dem Export verdient – davon 60 Rappen dank dem EU-Marktzugang.. «Tatsächlich müssten wir den Gürtel wohl enger schnallen, wenn wir das Rahmenabkommen dereinst kündigen würden.» Denn «die grösste Lüge ist, so zu tun, als ob unser Wohlstand ohne Abkommen mit der EU unverändert bliebe.» Was die nächsten Schritte bei den Verhandlungen betrifft, meint Ignazio Cassis, «es dauert so lange, wie es dauert. Hauptsache, wir haben einen guten Vertrag.»
Weitere Fragen im Interview beziehen sich auf seine Tätigkeit als Aussenminister während der letzten drei Jahre. Für Ignazio Cassis ist die Aussenpolitische Strategie 2020–2023 ein geglücktes Vorhaben. «Zum ersten Mal in unserer Geschichte hat die Schweiz eine breit abgestützte aussenpolitische Strategie. Das ist der neue Kompass, an dem sich der Bund bei allen aussenpolitischen Aktivitäten ausrichten muss. Es wird nicht mehr improvisiert oder nach Neigung, Vorliebe oder Parteinähe entschieden. Jeder aussenpolitische Entscheid hat der Strategie zu folgen», sagt er.