Trotz Schwierigkeiten: Schweizer Hilfe passiert Grenze zur Ost-Ukraine

Bereits zum zwölften Mal kommen Schweizer Hilfsgüter über die Grenze zur Ost-Ukraine, trotz Krieg und aktuell zusätzlichen COVID-Herausforderungen. Der Bevölkerung mangelt es an allem. Dietrich Dreyer, Programmbeauftragter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA erzählt, warum diese Hilfsgüter-Lieferung wegen dem Corona-Virus noch schwieriger und dringender ist als sonst schon.

Ein einziger Checkpoint ist noch offen: Dieter Dreyer vom DEZA bringt wegen COVID neben Hilfsgütern auch Masken, Desinfektionsmittel und Medikamente in die Ost-Ukraine. © EDA

Dietrich Dreyer, DEZA
Dietrich Dreyer, DEZA © EDA

Herr Dreyer, die Humanitäre Hilfe führt derzeit den zwölften Hilfsgüter-Transport über die Kontaktlinie in der Ost-Ukraine durch. Ist das mittlerweile Routine – oder ist wegen dem Corona-Virus alles anders? 

Zwar war nie ein Konvoi gleich wie die vorherigen aber diesmal sind die Herausforderungen schon besonders gross: Unterbrochene Produktionsketten, Lieferengpässe bei der Hilfsgüterbeschaffung, Quarantänevorgaben, COVID-Tests vor der Abfahrt und mitzuführende Tests – und zu allem noch die grössten Waldbrände in der Region Lugansk seit Menschengedenken, welche 15 Todesopfer forderten und einen der nur fünf Checkpoints zerstörten.

Das heisst, Spitalausrüstung und Güter zur Trinkwasseraufbereitung sind bei den Hilfslieferungen immer dabei. Diesmal wegen COVID aber auch Masken, Desinfektionsmittel und so weiter? 

Die Schweiz hat auf Grund der Ausbreitung des Corona-Virus im Sommer das ursprüngliche Budget um 700'000 auf 3,5 Millionen Franken erhöht, das ist das grösste Budget seit Beginn dieser Aktionen. Damit unterstützen wir sieben Spitäler unter anderem mit COVID-Tests, Beatmungsgeräten und persönlichem Schutzmaterial für das Spitalpersonal. Das ist wichtig, denn ein Fünftel der COVID-Erkrankten gehört zum medizinischen Personal.

Was bedeute die Corona- Pandemie für die Menschen in der Ost-Ukraine? 

Ich war vor drei Wochen in der Konfliktregion für die Vorbereitung des Konvois. Seit August hält der Waffenstillstand mehrheitlich, es war nachts noch nie so ruhig und ich schlief ohne Unterbrüche. Aber seit März sind die fünf Checkpoints, welche früher monatlich rund eine Million Menschen passierten, wegen den Corona-bezogenen Einschränkungen faktisch geschlossen.

Eine Million Rentnerinnen und Rentner müssen nun seit einem halben Jahr auf ihre Rente verzichten.

Das heisst beispielsweise für unsere Partner in den Wasserwerken Donetsk, dass ihre Ingenieure für die 100 Kilometer von Donetsk nach Mariupol einen 1500 Kilometer langen Umweg über Russland fahren müssen! Oder dass die rund eine Million Rentnerinnen und Rentern in den sogenannten Separatistengebieten, welche für ihre Pension ins regierungskontrollierte Gebiet reisen müssten, nun seit einem halben Jahr auf ihre Renten verzichten müssen!

Bedrückt hat mich die Aussage, das Leben sei selbst in den schlimmsten Kriegsjahren einfacher gewesen.

Dazu kommen steigende Preise –  die humanitären Bedürfnisse nehmen in den letzten Monaten massiv zu. Beeindruckt und bedrückt hat mich die immer wieder gehörte Aussage, das Leben sei selbst in den schlimmsten Kriegsjahren einfacher gewesen sei, da man sich trotz den Kämpfen nicht wie jetzt «wie in einem Gefängnis» gefühlt habe.

Sie haben es gesagt, aktuell sei nur noch eine Lieferroute und ein Checkpoint für den Konvoi der Schweiz offen. Sind Sie diesmal besonders angespannt?

Sehr. Wir hatten noch nie eine so teuren Konvoi mit einem derart kleinen Team in so kurzer Zeit zu seinen Zielen zu bringen. Nur schon ein Schreibfehler in den umfangreichen Dossier zu jedem Sattelschlepper kann uns bei Kontrollen an Checkpoints Stunden kosten. Wir müssen zwingend vor Anbruch der Nacht durch das Niemandsland sein – denn es ist nicht ausgeschlossen, dass hier trotz Waffenstandstand geschossen wird. 

Armutsreduktion und nachhaltige Entwicklung sind Schwerpunkte der eben erst im Schweizer Parlament diskutierten Strategie der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz IZA. Sie sind hautnah an der konkreten Hilfe mit dabei: Wie reagieren die Menschen vor Ort?

Wir bekommen den Dank des Pflegefachpersonals und der Patientinnen und Patienten vor Ort und das Aufatmen der Wasserwerksverantwortlichen direkt zu hören, wenn die Schweizer Lastwagen ihre leeren Chemikalienlager füllen, damit sie das Wasser trinkbar machen können. Dies lässt mich die Anstrengungen bei Vorbereitung und Durchführung der Konvois vergessen! Das lohnt sich! Die Schweiz ist eine von nur einer Handvoll humanitärer Akteure, welche überhaupt Zugang über die sogenannte Kontaktlinie haben.

Engagement der Schweiz in der Ost-Ukraine

Die Schweiz setzt sich im Rahmen der Verhandlungen der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk für eine friedliche Lösung des Ost-Ukraine-Konflikts ein. Die internationale Zusammenarbeit der Schweiz ist seit den 1990er-Jahren in der Ukraine präsent. 1999 eröffnete sie ein Kooperationsbüro in Kyiv. Seither unterstützt sie die Reformbemühungen. Sie engagiert sich für die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung, für effizientere öffentliche Dienstleistungen und die Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Das Engagement der Schweiz beruht auf dem Kooperationsprogramm 2020–2023, das vier Tätigkeitsbereiche unter der Verantwortung der entsprechenden Bundesstellen definiert. 

Mehr zur Hilfe der Schweiz in der Ukraine

Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024 der Schweiz IZA

Die Internationale Zusammenarbeit der Schweiz soll in Entwicklungsländern Armut bekämpfen und zu deren nachhaltigen Entwicklung beitragen – dank den drei Pfeilern humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Förderung von Frieden und Sicherheit für betroffene Menschen. Die IZA trägt zur Umsetzung der Aussenpolitischen Strategie des Bundesrates 2020–2023 bei. 

Mehr zur IZA-Strategie: Broschüre

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