Carl Emery auf Friedensmission in Mali

Der 52-jährige Carl Emery gehört zum Führungsteam der Kantonspolizei Genf und erlebt seit Oktober 2020 seinen allerersten Einsatz in Afrika. Als Mitglied des Expertenpools für zivile Friedensförderung des EDA leitet er in den nationalen Sicherheitsinstitutionen in Mali Reformprojekte. Das Programm steht in Einklang mit dem multilateralen Engagement der Schweiz zur Friedensförderung, wie Ignazio Cassis bei einer Reise Anfang Februar in Mali in Erinnerung rief. Ein Erlebnisbericht.

 Carl Emery, begleitet von einem malischen Gendarmeriekommandanten in Tracht, steht vor neun uniformierten Offizieren.

Carl Emery, hellbraunes Hemd und schwarze Hose (rechts), gibt Anweisungen an die malische Reiterbrigade. © Carl Emery

In einem Quartier von Bamako tritt Carl Emery aus seiner Unterkunft auf die Strasse. Er blickt sich um und sieht, dass Kinder Fussball spielen, trainieren, auf der Strasse Sport treiben – ohne das richtige Material, aber mit vollem Einsatz. Er geht zu ihnen hin, schaut ihnen zu, spricht mit ihnen und hilft ihnen. Dank Kontakten ist es ihm gelungen, Sportmaterial aufzutreiben: Boxhandschuhe, Tatamis und andere Ausrüstungen, damit die Jugendlichen miteinander Kampfsportarten trainieren können.

1994 holte Carl Emery an den Weltmeisterschaften im Full-Contact-Kickboxing die Goldmedaille, nachdem er bereits zweimal den EM-Titel erobert hatte. 26 Jahre später ist er noch immer im Kampfsport aktiv, jedoch hauptsächlich, indem er andere anleitet. In Bamako nimmt er sich neben seiner offiziellen Mission vor Ort immer auch Zeit, den Kindern im Quartier seinen Sport näherzubringen. Durch das gemeinsame Sporttraining sollen die Jugendlichen miteinander ins Gespräch kommen. «Mit Kampfsport kann man auch Gemeinschaften zusammenbringen, die sich noch nicht kennen. Das ist mir vor einigen Jahren in Irland aufgefallen, dann bei uns in der Schweiz und nun auch in Mali», erklärt er. Carl Emery ist jemand, der gerne Wissen weitergibt und sich austauscht. Genau deshalb ist er derzeit als Experte der Schweizer Polizei für die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) tätig.

Carl Emery ist kein GI Joe. Obwohl er das Zeug dazu hätte: Als Führungskraft und Ausbildner von Ausbildnern bei der Genfer Kantonspolizei wurde er im Oktober 2020 durch den Schweizer Expertenpool für zivile Friedensförderung (SEF) an die UNO entsandt. Neben ihm sind rund 150 weitere zivile Expertinnen und Experten im Einsatz, darunter rund 15 Polizeioffizierinnen und -offiziere, die ein vielfältiges Fachwissen mitbringen und gemeinsam das multilaterale Engagement der Schweiz in der Welt verkörpern.

Carl Emery sitzt im Sattel eines braunen Pferdes und hat die Beine in Steigbügeln.
Das Kommando der Kavallerieeinheit der malischen Nationalgendarmerie, unterstützt vom Schweizer Offizier Carl Emery. © Carl Emery

Carl Emery bildet in Mali Kavallerieeinheiten aus

In der MINUSMA stehen derzeit sieben Schweizer Polizeiexpertinnen und -experten im Einsatz, was für unser Land einen substanziellen Beitrag in Form von personellen Ressourcen für eine Friedensmission bedeutet. Carl begleitet seit Oktober 2020 Mitglieder der nationalen Polizei in der Region Bamako. Allgemein und gezielter im Rahmen ihrer Funktion sorgen die Expertinnen und Experten dafür, dass die Ordnungskräfte vor Ort einsatzfähig sind und dass ihre Handlungen und Abläufe in Einklang mit den Menschenrechten stehen. Sie bieten damit eine wertvolle Unterstützung, sowohl fachlich als auch in der Polizeiausbildung.

Carl Emery ist Instruktor an der nationalen Polizeischule in Mali und unterrichtet in verschiedenen Fachbereichen, vom Schutz von Zivilpersonen bis zu vielfältigen Interventionstechniken. Seine Aufgabe und seine Mission in Westafrika packt er mit Elan an. Derzeit bildet der 52-Jährige die neue Pferdebrigade in Mali aus. Diese soll die öffentliche Sicherheit gewährleisten und in dieser zu drei Vierteln von Wüste geprägten Region die Rolle einer bürgernahen Polizei wahrnehmen. «Vor unserer Ankunft wurden die Kavallerieeinheiten in Mali nur für Zeremonien eingesetzt, etwa als Begleitung des Präsidenten oder bei nationalen Grossveranstaltungen», erklärt Carl. «Aktive Einsätze vor Ort hatten sie keine. Deshalb besteht unsere Aufgabe darin, die Kavalleriepolizei so auszubilden, dass sie nicht nur bei offiziellen Feierlichkeiten auftreten kann, sondern auch für andere Aufgaben einsetzbar ist.»

In Mali ist die Schaffung dieser neuen Einsatzbrigade sinnvoll. Sie ermöglicht eine bisher nicht vorhandene Polizeipräsenz in einem deutlich grösseren öffentlichen Raum, und auch Menschen in weiter von der Hauptstadt Bamako entfernten Dörfern können sich mit den Vertretern der Ordnungskräfte austauschen. «Das war vorher nie der Fall», erzählt Carl Emery. «Pferde sind ein günstiges Verkehrsmittel und besonders praktisch, wenn man Orte erreichen will, die nicht mit Strassen erschlossen sind.» Das Pferd ist nicht nur ein nützliches, sondern auch ein seit jeher bekanntes Verkehrsmittel, denn in Mali hat die Reitkultur Tradition: Die Malinke, die im 14. Jahrhundert mit dem Königreich Mali einen Grossteil des Sahels kontrollierten, konnten sich so mühelos in den neu eroberten Gebieten fortbewegen. Die nationale Polizei hat sich von dieser Tradition und der Erfahrung der Expertinnen und Experten der MINUSMA vor Ort inspirieren lassen.

Carl Emery im schwarzen Einheitsoutfit posiert mit etwa vierzig Kindern aus Bamako in schwarzem Judogi und rotem Band.
Carl Emery trainiert auch Jugendliche in seinem Wohnviertel in Bamako im Kampfsport. © Carl Emery

Wissensaustausch zwischen Genf und Bamako

Auch im Kanton Genf existiert eine berittene Polizeieinheit, die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sorgt. Genau wie in Mali hat sie die Aufgabe, die polizeiliche Präsenz durch eine bürgernahe Polizei in den Gemeinden zu stärken. Und Carl Emery kennt diese bestens. Auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen zuhause wurde er in den Expertenpool des EDA aufgenommen und nach Mali entsandt. Durch den Wissenstransfer zwischen ihm und seinen Berufskolleginnen und -kollegen in Bamako trägt er auch zum guten Ruf der Genfer Kantonspolizei bei. «Wir sind stolz, dass wir bei uns eine berittene Brigade aufbauen konnten, dank der einige unserer Polizistinnen und Polizisten ein so fundiertes Wissen erworben haben, dass wir es – mit aller Bescheidenheit – ins Ausland exportieren können», betont Robert Tanner, Personalchef im Departement für Sicherheit, Beschäftigung und Gesundheit (DSES) der Genfer Kantonspolizei.

Ausserdem läuft der Erfahrungstausch nicht nur in eine Richtung: Bei seinem Einsatz in diesem enorm facettenreichen Umfeld hat auch Carl Emery ganz neue Lektionen fürs Leben gelernt und sich ungewohnte Sichtweisen erschlossen, die ihn auch im angestammten Beruf als Instruktor der Genfer Polizei weiterbringen werden. In einem Land, in dem für ihn sehr unterschiedliche Realitäten aufeinanderprallen, sieht er doch auch Gemeinsamkeiten mit der Schweiz: Mali ist zum Beispiel in Regionen gegliedert, in denen verschiedene regionale Sprachen und Ethnien dominieren – weshalb pädagogische Fähigkeiten besonders gefragt sind: «Zentralistische Lösungen existieren in Mali nicht», erklärt Carl Emery. Wenn man einen Polizisten der Bambara aus Bamako losschickt, damit er bei den Tuareg in Kidal das Gesetz vollzieht, also rund 1500 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt, wäre dies kompliziert. Sie verstehen sich sprachlich kaum und erachten sich auch nicht als demselben Volk zugehörig.» Doch es geht in Mali nicht nur um Wissensaustausch, sondern auch um zwischenmenschliche Kompetenzen. Gestärkt werden dabei Einfallsreichtum, Flexibilität und Feingefühl im Knüpfen von tragfähigen Beziehungen sowie die Fähigkeit, möglichst günstige Lösungen zu finden. «Diese Erfahrung ist gleichzeitig ein Schock und eine wunderbare Herausforderung.» 

Die Fassade der Kavallerie-Einheit der malischen Nationalgendarmerie. Ein blaues Schild ist an einer weissen Wand angebracht.
Die Kavallerie-Einheit der malischen Nationalgendarmerie ermöglicht es, die lokale Polizei in dieser Region, die zu drei Vierteln aus Wüste besteht, erheblich zu stärken. © EDA

Verstärkte Zusammenarbeit mit den Kantonen

Verstärkte Zusammenarbeit mit den Kantonen

In der Schweiz gibt es kein nationales Polizeikorps. Deshalb setzt der Bund bei der jährlichen Entsendung von Polizistinnen und Polizisten auf eine systematische Zusammenarbeit mit den verschiedenen Polizeikorps, die den Pool für die Rekrutierung in der Schweiz bilden. Zwischen den verschiedenen Behörden entsteht so eine Vertrauensbeziehung. «Die Genfer Polizei ist sensibilisiert für die internationale Lage und den Auftrag der Friedensförderung, sie ist deshalb sehr offen für eine Zusammenarbeit im Rahmen dieses Programms. Dadurch eröffnen sich insbesondere für junge Polizistinnen und Polizisten, die ihrer Aufgabe und ihrem Leben einen Sinn geben möchte, interessante Perspektiven», freut sich Robert Tanner.

Seit Ende 2020 sind nun drei Genfer in Friedensförderungsmissionen unterwegs, während das letzte Engagement davor auf die Einsätze der Schweiz im Kosovo und in Ruanda in den 1990er-Jahren zurückgeht. «Dieses Engagement ist nicht sehr gut sichtbar, aber sehr wichtig», betont Carl Emery. Dass unser Polizeikorps solche Einsätze bewilligt, zeugt von einer sehr offenen Haltung. Unsere Führung ist sich bewusst, dass dies für die Genfer Polizei einen Mehrwert bedeutet, vor allem für die Entwicklung der zwischenmenschlichen und sozialen Kompetenzen, die ein Auslandeinsatz fördert. Wir werden sicher gewisse Berufungen wecken.» Die Offiziere und Offizierinnen sind stolz auf ihr Engagement, mit dem sie sowohl ihre eigenen Interessen als auch die Interessen der Schweiz und ihrer aussenpolitischen Strategie verwirklichen können.

Engagement der Schweiz bei der UNO

Durch ihren Expertenpool für zivile Friedensförderung (SEF) stellt die Schweiz mehreren internationalen Organisationen, darunter der UNO, Polizeifachkräfte zur Verfügung. Ihre Aufgabe besteht darin, die Polizei vor Ort zu unterstützen, insbesondere beim Schutz von Personen, die von Konflikten betroffen sind, und bei der Stärkung des Rechtsstaats. Diese Entsendungen leisten einen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021–2024. Zudem zeugt das Engagement vom Willen der Schweiz, politische Prozesse zu unterstützen, die der Konfliktprävention oder -lösung dienen.

Das Engagement für Frieden und Sicherheit in der Welt gehört zu den thematischen Schwerpunkten der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 des EDA. Als neutrales Land will die Schweiz ihre Werte und Interessen auf der ganzen Welt schützen und fördern und Brücken bauen.

Deshalb kandidiert die Schweiz auch für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat für den Zeitraum 2023–2024. Als gewähltes Mitglied der weltweit wichtigsten Instanz zur Förderung von Frieden und Sicherheit könnte die Schweiz ihre aussenpolitischen Ziele verwirklichen, zu Frieden und Sicherheit beitragen und sich für den Multilateralismus einsetzen. 

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