«Genf soll zur internationalen Hauptstadt für digitale Gouvernanz werden»

Im Rahmen eines Interviews an den Digitaltagen Schweiz äussert sich Bundesrat Ignazio Cassis zur Bedeutung des digitalen Wandels und darüber, welche Rolle die Schweiz spielen kann.

 Bundesrat Ignazio Cassis sitzt in einem Stuhl und unterhält sich im Rahmen eines Interviews mit der Moderatorin.

Im Rahmen eines Interviews an den Digitaltagen Schweiz äussert sich Bundesrat Ignazio Cassis zur Bedeutung des digitalen Wandels und der Rolle der Schweiz. © EDA

Eigentlich hätten sich Ende Oktober zahlreiche Länder zur UNO Vollversammlung in New York getroffen. Daraus wurde nichts. COVID-19 macht auch einer der wichtigsten internationalen Organisationen einen Strich durch die Rechnung. Anstatt in Amerika fand die UNO Vollversammlung mehrheitlich virtuell statt, dafür auf der ganzen Welt. «Es war eine spezielle Versammlung. Wir sind es uns gewohnt, dass zu diesem Anlass fast alle Länder gemeinsam in New York vertreten sind. Plötzlich ist jeder in seinem Büro oder zuhause im Home-Office», erinnert sich Bundesrat Ignazio Cassis.

Dank der Digitalisierung war ein Austausch aber immerhin virtuell möglich. «Man hat sich trotz aller physischen Distanz gesehen. Da hat man sehr gut verstanden, wie wichtig die technologischen Entwicklungen und die Digitalisierung ist. Ohne sie hätten wir schlicht nicht tagen können.»

Thematischer Schwerpunkt in der Aussenpolitischen Strategie

Die Schweizer Digitaltage finden 2020 zum vierten Mal statt. Zum ersten Mal erstreckt sich der Anlass über drei Tage und findet – nomen est omen – mehrheitlich digital statt. Ziel der Veranstaltung ist es, das Thema Digitalisierung erlebbar zu machen und den Dialog zu fördern. Ein Ziel, das auch die Schweiz in ihrer Aussenpolitik verfolgt. «Der Bundesrat hat zu Beginn dieses Jahres die Aussenpolitische Strategie 2020–2023 verabschiedet. Neben den drei klassischen Themen der Schweiz – Frieden und Sicherheit, Wohlstand und Nachhaltigkeit – wird das Thema Digitalisierung darin zum ersten Mal als eigenes Schwerpunktthema aufgeführt», erklärt Ignazio Cassis.

Die Digitalisierung ist daran unser Leben, unsere Welt unser Alltag grundlegend zu verändern. Und das hat grosse Auswirkungen auf die Aussenpolitik der Schweiz.

Aber warum ist das Thema für die Schweiz von solch hoher Bedeutung? «Weil die Digitalisierung daran ist, unser Leben, unsere Welt und unser Alltag grundlegend zu verändern. Das hat grosse Auswirkungen auf die Aussenpolitik der Schweiz, beispielsweise auf die Rolle des Internationalen Genf, auf die digitale Gouvernanz und auf die digitale Selbstbestimmung.»

Internationales Genf als Hauptstadt digitaler Gouvernanz

Im Zusammenhang mit einer Strategie zur Digitalaussenpolitik ist stets auch von der digitalen Gouvernanz die Rede, nur wenigen ist derweil wirklich klar, was darunter zu verstehen ist. «Unter Gouvernanz versteht man die Regierungsführung. Man spricht in diesem Zusammenhang gerne von good governance, also guter Regierungsführung. Digitale Gouvernanz bedeutet demzufolge die Regierungsführung im digitalen Raum», erklärt Bundesrat Ignazio Cassis. «Da der digitale Raum die ganze Welt betrifft, brauchen wir gemeinsame Regeln.»

Insbesondere im Bereich der digitalen Gouvernanz erhebt die Schweiz international durchaus einen Führungsanspruch. «Bereits heute findet über die Hälfte der internationalen Gespräche zum Thema Gouvernanz im Internationalen Genf statt. Es muss unser Ziel sein, dieses Know-how und die Fachleute zu nutzen – Genf soll auch zur internationalen Hauptstatt für digitale Gouvernanz werden.»

Bekanntes Recht für neue Dimensionen

Der digitale Raum kennt keine Landesgrenzen, entsprechend wichtig ist die internationale Zusammenarbeit. «Gerade weil der digitale Raum ein weltumspannender Raum ist und nicht an Landesgrenzen gebunden ist, brauchen wir eine Welt-Regelwerk. Und dafür haben wir unter anderem die internationalen Organisationen», erklärt der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Gerade das Internationale Genf ist Heimat zahlreicher multilateraler Organisationen. «Wir haben viele Organisationen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise dem Thema Digitalisierung annehmen. Nun braucht es eine Regie, die diese Arbeit strukturiert.» 

Wir müssen nicht ein neues Recht entwickeln, sondern das bestehende so adaptieren, dass es auch für die neue Dimension des digitalen Zusammenlebens gewachsen ist.

Neben internationalen Organisationen gibt es auch Schweizer Initiativen mit starker internationaler Ausstrahlung wie zum Beispiel der Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA) oder das Cyberpeace Institute. «Genf ist heute bekannt für Frieden und Menschrechte und für die humanitäre Tradition. Diese Stärke bestehen weiterhin, werden aber vermehrt digitalisiert», erklärt Ignazio Cassis. In diesem Zusammenhang sei auch entscheidend, dass die Grundsätze des internationalen Völkerrechts für den digitalen Raum gewappnet sind. «Wir müssen nicht ein neues Recht entwickeln, sondern das bestehende so adaptieren, dass es für die neue Dimension des digitalen Zusammenlebens bereit ist.» Das gibt mehr Sicherheit auf der ganzen Welt – sowohl im digitalen als auch im analogen Zusammenleben.

Kohärente Aussenpolitik im digitalen Raum

Digitale Technologien bieten neue Möglichkeiten für die Diplomatie, die Armutsbekämpfung und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Sie bergen aber auch Risiken, etwa bei der Verarbeitung riesiger Datenmengen oder im Zusammenhang mit der Verbreitung von Fake News und Überwachung. Mit der Verabschiedung der Strategie Digitalaussenpolitik 2021–2024 anerkennt der Bundesrat die Digitalisierung als wichtiges Themenfeld der Schweizer Aussenpolitik. Artikel lesen

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