FSD – Schweizer Felderfahrung in der humanitären Minenräumung

Ende 2023 gab die Schweiz bekannt, dass sie die humanitäre Minenräumung in der Ukraine bis 2027 mit 100 Millionen Franken unterstützt. Sie gehört damit zu den wichtigsten Geberländern. Zusammen mit einigen sorgfältig ausgewählten Partnern aus dem In- und Ausland will die Schweiz in der Ukraine eine möglichst grosse Wirkung erzielen. Ihre wichtigste Partnerin ist die Fondation suisse de déminage (FSD). Sie gilt mit ihrem Fachwissen als führende Akteurin im Bereich der humanitären Minenräumung.

Ein FSD-Mitarbeiter führt eine nicht-technische Untersuchung durch und überwacht das Land mit einem Fernglas.

Ein FSD-Mitarbeiter führt eine nicht-technische Untersuchung durch und überwacht das Land mit einem Fernglas (November 2023). © FSD

Die Primarschule in einem kleinen Dorf im Zentrum des Oblasts Charkiw kann Anfang 2025 wieder geöffnet werden. Das Dorf gehört zum ersten grösseren Gebiet, das die ukrainischen Streitkräfte am 6. September 2022, dem ersten Tag der Gegenoffensive in Charkiw, zurückeroberten. Die Schule wurde während der russischen Besetzung stark beschädigt und war seither geschlossen. Dies ist einer von vielen sensiblen Orten, an denen die Teams der FSD im Einsatz waren. Auf dem Schulgelände und in der Umgebung untersuchten sie das Ausmass der Kontamination durch Minen und Sprengkörper. Das Gebäude wurde bereits instandgesetzt, die beiden Fussballfelder in der Nähe müssen jedoch noch vollends von Sprengstoffen befreit werden. Die Untersuchungen der FSD-Fachleute haben ergeben, dass die beiden Gebiete infolge der Bombenangriffe stark mit Metallfragmenten und nicht explodierter Munition verseucht sind. Eine umfassende Minenräumaktion soll deshalb sicherstellen, dass bis zur Wiedereröffnung der Schule wirklich alle Minen und Blindgänger gefunden und unschädlich gemacht wurden, so dass alle Freizeitanlagen in der Umgebung der Schule wieder genutzt werden können.

Die beiden Fussballfelder gehören seit Anfang 2024 zu den prioritären Einsatzgebieten der FSD-Teams im Oblast Charkiw. Ihre Fläche mag klein erscheinen, wenn man bedenkt, dass in der Ukraine rund 150 000 Quadratkilometer kontaminiert sind. Die in Pryschyb geleistete Arbeit sorgt jedoch dafür, dass in einem der wichtigsten Orte der Region eine gewisse Normalität zurückkehrt. Die Instandsetzung und Entminung einer Schule sind ein konkreter Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine.

Minenräumprogramme haben zum Ziel, dass sich die Menschen in den betroffenen Gebieten wieder sicher bewegen, die Infrastruktur nutzen und ihre Felder bewirtschaften können. Es geht um Menschenleben, um ganze Familien, die in ihre Wohnungen zurückkehren, ihre Häuser wieder aufbauen und grundlegende Dienstleistungen wie Wasser und Strom wieder nutzen können. Denn selbst die Infrastruktur ist kontaminiert. Es geht um Kinder, die in die Schule zurückkehren können, ohne Angst haben zu müssen. Und es geht schliesslich auch darum, dass die Bäuerinnen und Bauern ihre Felder wieder uneingeschränkt bewirtschaften können. Fast so wie früher, auch wenn dafür ein grosser Aufwand und viel Zeit erforderlich sind.

Ukraine Mine Action Conference (UMAC2024)

Am 17. und 18. Oktober 2024 organisieren die Schweiz und die Ukraine gemeinsam die Ukraine Mine Action Conference (UMAC2024) in Lausanne. Die UMAC2024 bringt hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, internationalen Organisationen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft zusammen. Der Schwerpunkt liegt auf den globalen Aspekten der humanitären Minenräumung entlang der Leitthemen «People. Partners. Progress.» Ziel ist es, die Bedeutung der Minenräumung als zentralen Bestandteil des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus zu thematisieren.

Die humanitäre Minenräumung ist unabdingbar für einen raschen Wiederaufbau, die Rückkehr der Vertriebenen und den Zugang zu den Existenzgrundlagen. Die Ukraine setzt sich in vorderster Linie dafür ein, die Bevölkerung vor Minen und explosiven Kriegsmunitionsrückständen zu schützen und das Land wieder zur Nutzung freizugeben. Internationale Partner wie das Fondation suisse de déminage (FSD) unterstützen die Ukraine bei diesen Anstrengungen. Die Schweiz arbeitet eng mit der Stiftung zusammen, auch im Rahmen der UMAC2024. So wird eine ukrainische Minenräumerin der FSD auf der Konferenz anwesend sein, um ihre Arbeit vorzustellen und ihre Erfahrungen vor Ort zu teilen. 

Kapazitätsaufbau trotz Sicherheitsrisiken

Die FSD ist die einzige Schweizer humanitäre Organisation, die vor Ort Minenaktionen betreibt. Sie gehört ausserdem international zu den renommiertesten Akteuren. Die Stiftung verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in sehr unterschiedlichen Kontexten auf der ganzen Welt. Sie ist zudem eine von drei Akteuren der humanitären Minenräumung, die bereits vor der russischen Aggression im Februar 2022 in der Ukraine tätig waren. Sie ist seit 2015 im Donbass tätig und kennt die Verhältnisse und Herausforderungen in der Ukraine bestens. Die FSD ist ausserdem von den ukrainischen Behörden anerkannt und gehört zu den ersten Organisationen, die für die Arbeit im Feld akkreditiert wurden.

Die Minenräumungsteams der FSD dekontaminieren Gebiete, in denen die Kämpfe eingestellt wurden – so auch in Pryschyb. Seit 2022 hat die Stiftung vier neue Einsatzbasen errichtet, zunächst in Tschernihiw, dann in Charkiw, in Swjatohirsk (für den Einsatz im Oblast Donezk) und in Krywyj Rhi (für den Einsatz im Oblast Cherson). Gleichzeitig hat sie ihren Personalbestand vervierfacht. Vor der militärischen Aggression Russlands waren 150 Personen im Einsatz. Heute sind es mehr als 650 Mitarbeitende über alle Einsatzgebiete der FSD.

Trotz dieser personellen Aufstockung bräuchte es in der Ukraine noch viel mehr Minenräumerinnen und Minenräumer. Es dürfte etwa 100 Jahre dauern, bis das Land von allen Minen und Sprengkörpern befreit ist. Die humanitäre Minenräumung in der Ukraine ist eine hochkomplexe Aufgabe. Das Land ist seit dem Zweiten Weltkrieg von einer beispiellosen Kontamination durch entdeckte oder vermutete Minen und Sprengkörper betroffen, sowohl was die Menge als auch was die Vielfalt betrifft. Minen und Blindgänger gibt es in sehr unterschiedlichen Formen, Grössen, Zusammensetzungen und Funktionsweisen, was den Prozess der Minenräumung äusserst komplex macht.

Anpassung an eine unbeständige Sicherheitslage

Auch wenn die russischen Truppen die Region mittlerweile verlassen haben, gibt es weiterhin zahlreiche Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur, insbesondere in der Stadt Charkiw. Die ständigen Gefahren, insbesondere die Luftalarme und Explosionen in der Nähe der Büros und Einsatzgebiete, haben die FSD zwar bisher nicht veranlasst, ihre Aktivitäten in der Region einzustellen, aber die Sicherheitslage ist vor diesem Hintergrund prekär. Nachdem 2024 zwei Lagerhäuser in der Nähe der FSD-Büros schwer getroffen wurden, hat die Stiftung Massnahmen ergriffen und ihr Sicherheitsdispositiv angepasst bzw. ausgebaut. Die FSD versichert jedoch, dass sie bisher keines ihrer Projekte aufgrund der fragilen Lage eingestellt hat. 

Zwei FSD-Mitarbeiter führen eine nicht-technische Untersuchung in der Provinz Donezk durch.
Zwei FSD-Mitarbeiter führen eine nicht-technische Untersuchung in der Provinz Donezk durch (April 2024). © FSD

Erst nichttechnische Untersuchungen, dann Minenräumung

Nur die Hälfte der von der FSD in die Ukraine entsandten Teams ist auf die Räumung von verminten Gebieten oder ehemaligen Kampfzonen spezialisiert. Die restlichen Mitarbeitenden haben andere wichtige Aufgaben. Neunzehn Teams sind im Vorfeld der Minenräumaktionen für nichttechnische Untersuchungen zuständig, vierzehn weitere für Aufklärungskampagnen zu den Gefahren, die von Minen und explosiven Kriegsmunitionsrückständen ausgehen.

Nichttechnische Untersuchungen sind ein wesentlicher Schritt im Prozess der humanitären Minenräumung. Dabei geht es darum, konkret zu untersuchen, ob ein Feld oder ein Grundstück tatsächlich kontaminiert ist oder ob der Verdacht unbegründet ist. In den Gebieten, die der FSD von den ukrainischen Behörden zugewiesen wurden, sind die Einsatzteams mit sehr unterschiedlichen Situationen konfrontiert. Ein untersuchtes Grundstück kann sich nach nur wenigen Tagen als nicht kontaminiert herausstellen, so dass es schnell wieder für die Nutzung freigegeben werden kann. Bei einem stark kontaminierten Grundstück hingegen sind die FSD-Teams über Monate beschäftigt, selbst wenn die Fläche klein ist – erst für zusätzliche (technische) Untersuchungen, dann für die Räumung.

In der Region Charkiw haben die Teams mit ihren nichttechnischen Untersuchungen erheblich zur Verbesserung der Sicherheit beigetragen. In verschiedenen Gemeinden haben sie nach umfassenden Abklärungen Minenfelder und mit Sprengkörpern verseuchte Gebiete identifiziert und markiert. Dabei wurden viele gefährliche Objekte, z. B. Raketen und andere nicht explodierte Munition sowie Panzer- und Personenminen, gefunden, was das Risiko für die lokale Bevölkerung, Tiere, Landwirtschaftsbetriebe und die Infrastruktur erheblich verringerte. Die Einsätze konzentrierten sich hauptsächlich auf Agrarflächen, ungenutzte Flächen, waldnahe Gebiete und Schulhöfe. Auf einigen Flächen wurden keinerlei Risiken festgestellt. Sie konnten freigegeben werden, ohne dass ein Minenräumungsteam eingreifen musste. 

Die FSD-Teamleiter absolvieren eine Evaluierung zur Identifizierung von Minen und Sprengkörpern.
Die FSD-Teamleiter absolvieren eine Evaluierung zur Identifizierung von Minen und Sprengkörpern (Juli 2023). © FSD

Langfristig mit der Bedrohung leben lernen

Die FSD ist in allen Bereichen der humanitären Minenräumung tätig. Neben der Untersuchung der Gebiete und der eigentlichen Minenräumung – sei es manuell oder mechanisch – betreibt sie auch Risikoaufklärung, um Unfällen vorzubeugen. Die Aufklärungskampagnen konzentrierten sich bisher auf die Regionen Tschernihiw, Charkiw, Cherson und Donezk. Es fanden aber auch Aktivitäten für Menschen statt, die aus diesen Gebieten vertrieben wurden und wahrscheinlich bald wieder zurückkehren werden. Die für diese Kampagnen zuständigen Teams organisierten Hunderte von Präsenz- und Online-Veranstaltungen, z. B. in Bildungseinrichtungen, Sportschulen und Kinderferienlagern, um die Bevölkerung über die Risiken aufzuklären und lebensrettende Verhaltensweisen im Umgang mit Minen und nicht explodierter Munition zu vermitteln.

Aufklärung und Aufbau lokaler Kapazitäten

Die FSD ist ausserdem bestrebt, die erforderliche Infrastruktur aufzubauen und ukrainisches Personal im Bereich der humanitären Minenräumung auszubilden. Zu diesem Zweck soll eine geeignete ukrainische NGO für humanitäre Minenräumung identifiziert und geschult werden. Sobald die FSD ihre Einsätze beendet, soll diese NGO eigenständig und langfristig umfassende Minenräumungsaktionen durchführen. Die Schweiz unterstützt dieses Projekt im Einklang mit ihrem langfristigen Engagement für die humanitäre Minenräumung in der Ukraine. Die Stärkung der lokalen Kapazitäten und die Bereitstellung der für die Minenräumung erforderlichen Instrumente ermöglichen es der Ukraine, alle Aufgaben dauerhaft selbständig zu übernehmen. Ganz im Sinne eines Wissenstransfers.

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