«Es sind turbulente Zeiten für Rüstungskontrolle und Abrüstung»

Das globale Machtgefüge ist in Bewegung. Neue Technologien und die Art der Konflikte verändern sich grundlegend. Dies wird durch die Krise in der Ukraine und die offenen Fragen bezüglich Sicherheitsarchitektur in Europa bestätigt. Die Schweiz will Bewährtes fortführen und auf Innovation setzen, so Bundespräsident Cassis in der Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung des Bundesrats. Diese trägt zu mehr Sicherheit bei und stärkt die aktive Rolle der Schweiz.

Illustration mit zahlreichen Raketen, die in unterschiedliche Richtungen fliegen, mit der Weltkugel im Hintergrund.

Rasante technologische Entwicklungen verändern Mittel und Methoden der Kriegsführung. Mehr Akteure erhalten Zugang zu neuartigen Waffen. Das fordert die Rüstungskontrolle. © shutterstock

«Die Schweiz … will sich … aktiv an der Erarbeitung von Normen beteiligen, die den Einsatz neuer Technologien in Konflikten regeln sollen – wie etwa autonomer Waffensysteme», schreibt Bundespräsident Ignazio Cassis im Vorwort zur ersten Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022−2025.

Die Schweiz misst dem Aufrechterhalten und Weiterentwickeln der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungsarchitektur grosse Bedeutung bei. Sie will Bewegung in festgefahrene Prozesse bringen und sich aktiv beteiligen.

Ein Beispiel dafür ist das Schweizer Engagement im Rahmen der Stockholmer Initiative. Unser Land hat ein Paket mit Vorschlägen für das Eindämmen der Kernwaffenrisiken entworfen. Bereits 25 Staaten haben sich dem Schweizer Vorschlag angeschlossen.

Die Schweiz will sich aktiv an der Erarbeitung von Normen beteiligen, die den Einsatz neuer Technologien in Konflikten regeln sollen – wie etwa autonomer Waffensysteme.
Bundespräsident Ignazio Cassis

Neue Technologien werfen grundlegende Fragen zur Zukunft der Menschheit auf

Zahlreiche Drohnen fliegen über militärischen Einrichtungen vor einem Wald.
Der Bundesrat will mit der neuen Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung Akzente setzen und dazu beitragen, Regeln zu entwickeln und innovative Instrumente zu entwerfen. © shutterstock

Technologische Durchbrüche können die Welt sicherer machen und Menschenleben retten. Gewisse Anwendungen können aber zentrale Normen und Werte unterhöhlen und die Welt destabilisieren. Kriegsführung im Zeitalter der Robotik, autonomer Waffen und Genmanipulation wirft grundlegende Fragen zur Zukunft der Menschheit auf. Noch bleibt Zeit, die weitere Entmenschlichung bewaffneter Konflikte zu vermeiden und zu verhindern, dass Technologie zum Kriegstreiber wird.

Die neue Strategie will hier Akzente setzen. Die Schweiz will international dazu beitragen, klare Regeln zu entwickeln und innovative Instrumente für die Abrüstung zu entwerfen. Die Strategie nimmt diesen Vorsatz in zahlreichen Aktionsfeldern auf.

Der Bundesrat fokussiert in der Strategie auf die Herausforderung durch autonome Waffen und erfüllt das Postulat 21.3012 der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats vom 25. Januar 2021. Die Schweiz will sich für ein internationales Abkommen einsetzen, um menschliche Kontrolle sicherzustellen und nicht rechtskonforme autonome Waffensysteme zu verhindern. 

Schweiz als innovative Akteurin und glaubwürdige Brückenbauerin

Mit ihrer ersten Abrüstungsstrategie zeigt sich die Schweiz als Brückenbauerin sowie als initiative und glaubwürdige Akteurin in diesem Themenfeld. Sie strebt tragfähige Lösungen an und trägt zu mehr Sicherheit in Europa und weltweit bei. Sie setzt sich dafür ein, dass das Einhalten des Völkerrechts, inklusive des humanitären Völkerrechts, über der politischen oder militärischen Macht steht.

Die Strategie will sowohl Bewährtes fortführen, Impulse für neue Herangehensweisen setzen sowie bestehende Stärken und anstehende Opportunitäten nutzen – wie zum Beispiel den angestrebten Sitz im UNO-Sicherheitsrat 2023–24.

Zu berücksichtigen ist auch die innenpolitische Dimension: So wird etwa die Frage, wie sich das Ziel einer nuklearen Abrüstung unter den heutigen Bedingungen am besten erreichen lässt, politisch kontrovers diskutiert. Diesbezüglich wartet die Schweiz mit dem Beitritt zum Kernwaffenverbotsvertrag (TPNW) zu. Sie wird die Frage vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklungen im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) und nach Teilnahme der Schweiz als Beobachterin an der ersten TPNW-Staatenkonferenz erneut prüfen. Sie setzt sich für eine konstruktive, synergetische Zusammenarbeit ein und betont, dass die humanitären Konsequenzen eine Triebfeder der Abrüstung bleiben müssen.

Rüstungskontrolle überdenken und neue Lösungen entwickeln

Nachthimmel und Rakete, welche eine Leuchtspur hinter sich herzieht.
Unter anderem im Weltraum will sich der Bundesrat mit seiner neuen Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung stärker positionieren. © EDA

Für den Bundesrat hat das Aufrechterhalten und das Weiterentwickeln der internationalen Rüstungskontroll- und Abrüstungsarchitektur grosse Bedeutung. Das Beseitigen der Massenvernichtungswaffen und das Eindämmen der Folgen bewaffneter Gewalt gehören nach wie vor zu seinen Zielen.

«Es sind turbulente Zeiten für die Rüstungskontrolle und die Abrüstung», erklärt Bundespräsident Cassis. Einerseits erschwerten die neuen globalen Machtverhältnisse – insbesondere die geopolitische Rivalität zwischen den Grossmächten – die Abrüstungsbemühungen. Anderseits veränderten neue Technologien die Art von Konflikten und das Krisenmanagement grundlegend. «Wir müssen die Rüstungskontrolle daher neu denken und nach innovativen Ansätzen suchen», führt er weiter aus.

Die Schweiz müsse zu Überlegungen beitragen, wie den Veränderungen in der Abrüstung begegnet werden kann, welche sich durch den rasanten technischen Fortschritt ergeben – auch angesichts von Polarisierungs- und Erosionstendenzen wie das Kündigen und Nicht-Einhalten von Verträgen oder das Verschleppen von Verhandlungen.

Im Cyberspace führt der Bundesrat sein Engagement mit Ziel Stabilität fort. Im Weltraum will er sich stärker positionieren, festgefahrene Prozesse hinterfragen und neue Impulse geben. 

Volles Potenzial ausschöpfen durch «Whole of Switzerland»-Ansatz

Die Abrüstungsstrategie betrifft alle Departemente. Sie ist breit konsultiert und mit den zahlreichen zuständigen Stellen zusammen erarbeitet. Partnerstaaten, internationale Organisationen, NGO und Exponenten aus der Wissenschaft wurden einbezogen. Ein jährliches gemeinsames Monitoring ist vorgesehen.

Auch die Umsetzung der Strategie wird im Geiste eines «Whole of Switzerland»-Ansatzes erfolgen, «damit die Schweizer Aussenpolitik ihr Potenzial im Bereich der Rüstungskontrolle und der Abrüstung ausschöpfen kann», betont Bundespräsident Ignazio Cassis.

Die Umsetzung der Strategie wird im Geiste eines «Whole of Switzerland»-Ansatzes erfolgen, damit die Schweizer Aussenpolitik ihr Potenzial im Bereich der Rüstungskontrolle und der Abrüstung ausschöpfen kann.
Bundespräsident Ignazio Cassis

Digital-Hub Genf: noch mehr Synergien für Abrüstungszwecke nutzen

Die rasanten, teils bahnbrechenden technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre beeinflussten und beeinflussen die Rahmenbedingungen für die Rüstungskontrolle und Abrüstung markant. Digitalisierung und neue Technologien bringen nebst Herausforderungen auch Chancen. Das gilt namentlich auch für die Schweiz und das internationale Genf.

Genf ist als globaler Hub der digitalen Gouvernanz gut positioniert. Es bietet sich daher an, hier noch mehr Synergien auch für Abrüstungszwecke zu nutzen.

Die fünf Aktionsfelder der Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung

Die erste Abrüstungsstrategie erläutert zunächst deren Relevanz für die Schweiz und bietet einen Rückblick. Anschliessend führt sie den Wandel der geopolitischen Rahmenbedingungen und die wichtigsten technologischen Entwicklungslinien auf. Gefolgt von den Handlungs-Prinzipien für die Schweiz als glaubwürdige und initiative Akteurin und den Zielen und Massnahmen in fünf Aktionsfeldern:

  • Nuklearwaffen
  • Chemische und biologische Waffen
  • Konventionelle Waffen
  • Autonome Waffen
  • Cyberspace und Weltraum

Mit der Strategie erfüllt der Bundesrat auch das Postulat 21.3012 der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats vom 25. Januar 2021. Dieses beauftragt ihn zu prüfen, «wie eine Einsatzdoktrin für künftige autonome Waffensysteme und künstliche Intelligenz in der Sicherheitsinfrastruktur unter Berücksichtigung internationaler ethischer Standards ausgestaltet werden kann und Möglichkeiten aufzuzeigen, sich international für diese einzusetzen

Rüstungskontrolle hat unterschiedliche Dimensionen. Neben Obergrenzen und Reduktionen in Arsenalen können auch ganze Kategorien von Waffen, oder deren Einsatz, verboten werden. Eine zentrale Komponente der Rüstungskontrolle ist die «Nichtverbreitung». Denn Abrüstung ist dann nachhaltig, wenn die Weiterverbreitung verhindert wird. Die beiden Begriffe «Rüstungskontrolle» und «Abrüstung» im Titel der Strategie umfassen demnach auch die Begriffe «Nichtverbreitung» beziehungsweise «Nonproliferation» von Waffen und entsprechender Komponenten (RAN-Bereich). 

Aktiv zu mehr Sicherheit weltweit beitragen

Die Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung identifiziert fünf Aktionsfelder und legt dort jeweils konkrete Massnahmen fest. Ein paar Beispiele. 

Stockholmer Initiative: Bausteine für die nukleare Abrüstung

Mit Blick auf die zehnte Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT), die im Verlaufe dieses Jahres geplant ist, arbeitet die Schweiz mit der Stockholmer Gruppe zusammen. Die Gruppe trifft sich auf Ministerebene. Sie verfolgt das Ziel, dem NPT einen positiven Impuls zu geben und fordert konkrete und pragmatische Abrüstungsschritte. Ein Arbeitspapier der Gruppe umfasst Bausteine für das Voranbringen der nuklearen Abrüstung. 

Erfolg im Kampf gegen Chemie-Waffen

Die Vertragsstaaten des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) haben Ende 2021 in Den Haag mit grosser Mehrheit einem von Australien, den USA und der Schweiz initiierten Entscheid zugestimmt: Der Einsatz von Chemikalien, welche auf das zentrale Nervensystem wirken, ist im nationalen Gesetzesvollzug verboten. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung des unter Druck geratenen Chemiewaffenverbots.

Vorreiterrolle in der Munitionsbewirtschaftung – bilateral und multilateral

Durch unsachgerechte Munitionsbewirtschaftung können unbefugte Empfänger wie bewaffnete Gruppen leichter an Munition gelangen. Zudem erhöht sich dadurch das Risiko unbeabsichtigter Explosionen in Munitionslagern mit oft weitreichenden Folgen für Zivilbevölkerung, Infrastruktur und Umwelt.

Durch Know-how, Material- und Finanzbeiträge unterstützt die Schweiz Partnerstaaten wie Bosnien und Herzegowina dabei, Munition in Eigenverantwortung nach internationalen Standards sicher zu bewirtschaften.

Auch multilateral nimmt die Schweiz eine Vorreiterrolle ein: Sie erregte durch eine Initiative in Genf von 2015 bis 2018 die internationale Aufmerksamkeit und trug dazu bei, dass sich die UNO dem Thema gezielt annimmt. 

Minenräumung macht Land für Bevölkerung wieder nutzbar

Auch lange nach Konflikt-Ende töten und verletzen Personenminen und andere explosive Kriegsmunitionsrückstände unterschiedslos. Sie kontaminieren das Land, verhindern wirtschaftliche Aktivitäten und erschweren die Rückkehr Vertriebener. Noch immer sind rund 60 Staaten und Gebiete betroffen.

2020 unterstützte die Schweiz 15 Länder in der humanitären Minenräumung mit rund 17 Millionen Franken. So trug sie über ein DEZA-Projekt etwa dazu bei, dass in Kambodscha über 15 Quadratkilometer Land für die lokale Bevölkerung freigegeben werden konnten. Davon profitierten über 116'900 Personen. Zudem entsandte die Schweiz 12 Minenräumexpertinnen und -experten des VBS zur Unterstützung von UNO-Missionen. 

Neue Abrüstungs-Strategie stärkt die Kohärenz der Schweizer Aussenpolitik

Die neue Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022–2025 setzt bei der Aussenpolitischen Strategie 2020−2023 (APS 20−23) an, beim Schwerpunkt Frieden und Sicherheit.

Damit die Schweiz ihre Aussenpolitik kohärent gestalten kann, bilden die APS 20–23 und ihre Folgestrategien eine Strategie-Kaskade. In diesem Sinn führt die Abrüstungsstrategie als die vierte thematische Folgestrategie die APS 20–23 thematisch vertiefend fort. 

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