«Wir müssen die Erdumlaufbahnen für die wesentlichen Anwendungen schützen»

Wettervorhersagen, Transportsysteme, Energieversorgung und Finanztransaktionen – die Raumfahrttechnologien sind Teil und Treiber unseres Wohlstands. Die Schweiz engagiert sich in internationalen Gremien für die friedliche, sichere und nachhaltige Nutzung des Weltraums. Natália Archinard vertritt die Schweiz im UNO-Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS). Im Interview berichtet sie von den irdischen und ausserirdischen Herausforderungen.

Erdumlaufbahn

Um Kollisionen im All zu verhindern, braucht es globale Koordination zwischen den Weltraumakteuren. © ESA

Frau Archinard, wieso braucht es einen UNO-Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS)?

Seit dem Start von Sputnik, dem ersten Satelliten im All im Jahr 1957, hat sich die UNO mit der Raumfahrt beschäftigt. Denn durch die Raumfahrtaktivitäten kamen politische, technische und rechtliche Fragen auf, die zwischenstaatlich geklärt werden mussten. Mit zunehmender Nutzung des Weltraums ist es immer wichtiger geworden, die Weltumlaufbahnen zu schützen, damit alle langfristig von den Satellitentechnologien im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung profitieren können. Satelliten liefern wichtige Informationen, Daten und Dienste, die täglich zu unserem Wohlstand, der Wirtschaft und unserer Sicherheit beitragen. Zudem gewinnt die Raumfahrt vermehrt eine strategische Bedeutung, nicht nur aus militärischen Gründen, sondern auch aus kommerziellen und wegen bemannten exploratorischen Bestrebungen Richtung Mond und Mars.

Portraitbild von Natália Archinard
Natália Archinard © J Neuenschwander, Observatorium Zimmerwald

Natália Archinard ist stellvertretende Chefin der Sektion Wissenschaft, Verkehr und Weltraum des EDA und arbeitet im Bereich Raumfahrt-Diplomatie. Sie vertritt die Schweiz im UNO-Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS). Bis Februar 2022 hatte sie, im Namen der Schweiz, den zweijährigen Vorsitz des wissenschaftlichen und technischen Unterausschusses von COPUOS inne.

Die Schweiz hat alle Weltraumverträge der UNO, ausser dem Mondabkommen, zwischen 1969 und 1978 ratifiziert. Hat die Schweiz auch ein nationales Weltraumgesetz?

Als Gründungsmitglied der Europäischen Weltraumorganisation ESA und ohne nationales Weltraumprogramm liefen lange fast alle Weltraumaktivitäten der Schweiz über diese Organisation. Im Jahr 2008 stimmte der Bundesrat einer Revision der Weltraumpolitik zu, unter anderem sollte, falls notwendig und zweckmässig, ein innerstaatlicher gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Auch in der Schweiz werden heute institutionelle und private Weltraumakteure immer zahlreicher. Gerade letzten Monat hat nun der Bundesrat beschlossen, die Schweizer Weltraumpolitik von 2008 zu überarbeiten und einen Vorentwurf für ein Weltraumgesetz zu erarbeiten. Dieser Entscheid ist für uns sehr positiv und schon länger ein Wunsch des EDA.

Was sind die Ziele und Interessen des EDA im Weltraum?

Das EDA setzt sich auf internationaler Ebene für die friedliche, sichere und langfristige Nutzung des Weltraums ein. Dieses Engagement ist in der Raumfahrtpolitik und der Aussenpolitik der Schweiz fest verankert.

Auch in der Weltraumdiplomatie hat sich die Schweiz als Brückenbauerin einen guten Ruf erarbeitet.

Beim COPUOS, wo sie seit 2008 Mitglied ist, wirkt die Schweiz für eine verbesserte Zusammenarbeit und eine stärkere Gouvernanz der Raumfahrtaktivitäten. Sie macht bei der Erarbeitung von gemeinsamen Standards und Leitlinien mit, indem sie wissenschaftliche Expertise liefert und zur Konsensbildung wesentlich beiträgt. Denn auch in der Weltraumdiplomatie hat sich die Schweiz als Brückenbauerin einen guten Ruf erarbeitet.

Bei der UNO-Generalversammlung und der Abrüstungskonferenz unterstützt die Schweiz den multilateralen Dialog und die Erarbeitung gemeinsamer Lösungen und Normen, zum Beispiel um ein Rüstungsrennen im Weltall zu vermeiden und verantwortliches Verhalten zu fördern.

Wie kann die Raumfahrt zur Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung beitragen? Können Sie Beispiele nennen?

Raumfahrttechnologien und Satellitendaten fördern den globalen Wohlstand und treiben auch die Digitalisierung voran. Die zahlreichen Anwendungen von Satellitentechnologie dienen praktisch allen Zielen der Agenda 2030.

Ein Beispiel ist die globale Gesundheit: Dank satellitengestützter Kommunikation ist Diagnostik oder Unterstützung von Ärzten auch in abgelegenen Gebieten möglich. Oder bei der Prävention von Tropenkrankheiten, die durch Mosquitos übertragen werden und von Umweltfaktoren abhängen, kommt der Fernerkundung durch Satelliten eine grosse Bedeutung zu.

Im Bereich Klimawandel sind etwa 40% der wesentlichen Klimadaten, den «Essential Climate Variables», nur per Satelliten messbar. Auch um langfristige Tendenzen zu beobachten, wie die Entwicklung von Gletschern oder Wäldern, erlauben Satellitendaten einen Vergleich über Jahre, der sonst kaum möglich wäre.

Satellitentechnologien dienen fast allen Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.

Satellitentechnologie fördert auch die Ernährungssicherheit: Satellitendaten können Aufschluss über das Ertragspotential eines Feldes geben, was Bauern und Bäuerinnen eine optimale Planung der Bepflanzung ermöglicht. Ein Beispiel dafür ist RIICE, ein Projekt der DEZA in Südindien, das bei Ernteausfall die Betroffenen entschädigt.

RIICE

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen und Gefahren bei der Nutzung des Weltraums in Zukunft?

Der Weltraum wird immer mehr genutzt, von Staaten aber auch von privaten Akteuren. Die Anzahl der Satelliten wächst unkontrolliert, in den letzten fünf Jahren von etwa 4000 auf 8000, also um das Doppelte! Dazu gibt es auch viele Trümmer von Raketen oder alten Satelliten, die im Orbit verbleiben. Dadurch steigt das Risiko von Kollisionen. Wir verfügen leider noch nicht über die Technologie, um diesen Weltraumschrott zu entfernen.

Es braucht deshalb internationale Koordination, um das Risiko von Unfällen in der Erdumlaufbahn so gering wie möglich zu halten. COPUOS hat Richtlinien dazu entwickelt, aber weitere Arbeiten sind nötig. Gewisse Staaten wollen keine neuen verbindliche Regeln, weil sie ihre Freiheit im Weltall behalten wollen, aus militärischen und kommerziellen Gründen. Die Nutzung und Kommerzialisierung von Weltraumressourcen ist auch ein sensitives Thema. Das Weltall ist hoch strategisch geworden, auch für die Unterstützung der Armeen, und die Satelliten werden auch zu Zielobjekten. 

Waren Sie schon mal im All oder planen Sie einen Ausflug ins Ausserirdische?

Nein, ich war noch nie im All. Im Jahr 2008 habe ich mich als Astronautin bei der ESA beworben. Leider hat es nicht geklappt, aber allein das Auswahlverfahren war sehr interessant. Der Tourismus im All strebt voran, aber persönlich möchte ich eher dazu beitragen, dass die Erdumlaufbahnen für die wesentlichen Anwendungen, im Sinne einer nachhaltigen und friedlichen Erde, weiterhin zugänglich bleiben.

Aussenpolitische Strategie (APS) 2020–2023 und neue Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022–2025

Das Engagement der Schweiz in der globalen Gouvernanz im Weltraum steht im Einklang mit der APS und der neuen Strategie Rüstungskontrolle und Abrüstung 2022–2025. Die Schweiz setzt sich im internationalen Umfeld als Brückenbauerin für eine friedliche, sichere und nachhaltige Welt, einschliesslich des Weltraums, ein. In diesem Zusammenhang fördert sie die Erarbeitung von gemeinsamen Standards, Richtlinien und Normen für Weltraumaktivitäten, damit die Schweizer Gesellschaft, die Privatwirtschaft und die staatlichen Institutionen noch lange vom Zugang zum Weltraum und den davon abgeleiteten Diensten profitieren können.

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