Journalistin in Europa: ein Beruf mit Gefahren
Die Situation von Journalistinnen verschlechtert sich in verschiedenen Weltregionen und auch in Ländern, in denen man dies nicht erwarten würde. Der Koordinator des International Press Institute (IPI) erzählt davon in einem Film, den er Anfang Oktober am Filmfestival in Lugano präsentierte. Produziert wurde das Werk im Rahmen eines Projekts der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Unterstützung der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA.
Javier Luques Film «A Dark Place» wurde im Rahmen eines OSZE-Projekts gedreht, das von der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA finanziert wurde. © OSZE
Es ist nicht einfach, über die Verwirklichung der Menschenrechte und manchmal auch über die Verschlechterung dieser Rechte in Ländern zu sprechen, in denen die Menschen ihre Meinung frei äussern und ihr Leben frei gestalten können. Dass es auch Übergriffe in Regionen gibt, in denen die gesamte Bevölkerung die demokratischen Grundsätze zu anerkennen scheint, ist manchmal schwierig zu vermitteln. Trotzdem gibt es Personen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben – und aufzeigen, dass die Welt nirgends perfekt ist.
Javier Luque stellte im Oktober 2021 im Tessin das Ergebnis seiner mehrjährigen Recherchen zu diesem Thema vor: Bei der Präsentation seines Films «A Dark Place» auf dem Filmfestival für Menschenrechte, das seit 2014 jährlich in Lugano stattfindet, war er persönlich anwesend. Der Dokumentarfilm entstand im Rahmen eines OSZE-Projekts zur Verteidigung von Journalistinnen, die im Internet Berichte publizieren. Mehrere Frauen erzählen, wie sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit Opfer von Online-Angriffen wurden.
Die Erzählungen der Betroffenen zeichnen eine komplexe und manchmal dramatische Situation von Journalistinnen in einem Umfeld, in dem (häufig) das Geschlecht darüber entscheidet, ob Aussagen als glaubwürdig erachtet werden. Die Reporterinnen sind eine leichte Zielscheibe für Kritiker und werden bedroht, verunglimpft, angegriffen und manchmal auch Gewalt ausgesetzt. Häufig bestehen in ihrem Arbeitsumfeld keine klaren Strukturen zu ihrer Verteidigung. «Diese Realität ist viel weiter verbreitet, als man denken würde, auch in rechtsstaatlichen Ländern», erklärt Javier Luque.
OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit besuchte im November die Schweiz
Am 8. und 9. November 2021 stattete die Beauftragte für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Teresa Ribeiro, der Schweiz einen Arbeitsbesuch ab. Sie wurde von Bundesrätin Simonetta Sommaruga empfangen. Anschliessend traf sie Staatssekretärin Livia Leu sowie Vertreterinnen und Vertreter des EDA für ein Gespräch über die weltweite Situation von Journalistinnen.
Dieses zentrale Organ zur Förderung der Meinungs- und Medienfreiheit im euro-atlantischen Raum hat auch eine Frühwarnfunktion bei Übergriffen auf Medien und Medienschaffende.
Die Portugiesin Teresa Ribeiro ist seit 2020 im Amt und erstellt zweimal jährlich einen ausführlichen Bericht, der die Situation der Medien und der Medienschaffenden in den Mitgliedstaaten für den Ständigen Rat der OSZE analysiert. Die Schweiz unterstützt das Mandat sowohl politisch als auch finanziell. Die Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) des EDA finanziert derzeit zwei Projekte der OSZE, die diese Stossrichtung verfolgen. Das erste befasst sich mit der Sicherheit von Online-Journalistinnen, das zweite mit den Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Meinungsfreiheit.
Der Film von Javier Luque wurde im Rahmen des erstgenannten Projekts gedreht.
Angriffe auf das Recht auf freie Meinungsäusserung und Information betreffen uns alle
«Ich dachte mir zwar, dass solche Angriffe in Russland vorkommen können, ich hätte jedoch nie damit gerechnet, dass das Problem auch in Ländern wie Frankreich, den USA oder der Schweiz existiert.» Diese Worte richtete eine russische Lehrerin direkt an Javier Luque. Sie zeugen von einem Phänomen, das alle Regionen und Länder der Welt betrifft.
Javier ist Koordinator für soziale Netzwerke beim International Press Institute (IPI), einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Wien. Er versucht täglich, auf globaler Ebene auf die Missstände aufmerksam zu machen, denen Medienschaffende und insbesondere Journalistinnen bei der Ausübung ihres Berufs ausgesetzt sind. Er will Zeitungsredaktionen in verschiedenen Ländern sensibilisieren, aber auch die Politik. «Wissen Sie, wenn diese Angriffe erfolgreich sind, werden nicht nur die Rechte dieser Person verletzt, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäusserung und auf Information», erklärt er. Deshalb betrifft das Thema uns alle.»
Polarisierung der Gesellschaft fördert Übergriffe
Die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Teresa Ribeiro, kommt zum gleichen Schluss. «Das Vertrauen der Bevölkerung in Redaktionen und Medienschaffende hat in den letzten Jahren abgenommen. Die Medienwelt befindet sich im Umbruch», hielt sie bei ihrem Austausch mit Staatssekretärin Livia Leu am 9. November 2021 fest.
«Dieses Vertrauen bröckelt heute ganz besonders dort, wo die Gesellschaft am stärksten polarisiert ist», ergänzt Javier Luque. Deshalb kam es während der Covid-19-Pandemie weltweit zu vermehrten Angriffen auf die Presse und die Medienschaffenden allgemein und insbesondere auch auf Frauen in diesem Beruf. Entsprechend müssen Regierungen und Politik Verantwortung übernehmen. «Die Redaktionen müssen Strukturen für ihre Mitarbeitenden aufbauen, doch auch die politischen Instanzen stehen in der Pflicht, die zunehmenden Angriffe auf Medienschaffende zu bekämpfen», appelliert der IPI-Koordinator.
Die Regierungen haben die Verantwortung, auf Meldungen über Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und Übergriffe auf Medienschaffende zu reagieren. «Es braucht eine Kultur der Sicherheit und die Ermutigung, Übergriffe den Behörden zu melden. Wir müssen Unterstützungsmechanismen auf allen Ebenen schaffen», ist Javier Luque überzeugt. Wichtig ist dafür ein multilateraler Dialog und Austausch. Die Schweiz engagiert sich in diesem Prozess mit Nachdruck (siehe Kasten).
Die Schweiz unterstützt die OSZE im Bereich der Pressefreiheit
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Büros für Medienfreiheit der OSZE im Jahr 2022 wird unter anderem dem Schutz von Journalistinnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Während ihres Besuchs in der Schweiz unterzeichnete Teresa Ribeiro gemeinsam mit Botschafter Simon Geissbühler den Start der zweiten Phase des OSZE-Projekts «Safety of Female Journalists online».
Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und dem Büro für Medienfreiheit der OSZE ist ausgezeichnet. Seine Vertreterin, Teresa Ribeiro, bedankte sich denn auch für diese gute Zusammenarbeit. Die Schweiz ist derzeit die grösste Geldgeberin für Projekte zum Schutz von Journalistinnen.
Parallel zum politischen und finanziellen Engagement bei den Projekten der OSZE erarbeitet das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) einen nationalen Aktionsplan zum Schutz von Medienschaffenden in der Schweiz. Dieser nationale Aktionsplan könnte auch dazu genutzt werden, das Anliegen auf internationaler Ebene voranzutreiben.
Das grundsätzliche Engagement der Schweiz in diesem Bereich ist zudem in der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 und in den Leitlinien Menschenrechte 2021–2024 des EDA verankert.