70 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention
Die im Europarat ausgearbeitete Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde am 4. November 1950 unterzeichnet. Das 70-jährige Jubiläum dieses gemeinsamen Engagements ist für die Schweiz von grosser Bedeutung: Die Kernelemente der EMRK decken sich mit den Prioritäten der schweizerischen Aussenpolitik. Die EMRK, geschichtsträchtig und fortschrittlich zugleich, behauptet sich auch in der digitalen Welt.
Ministerkonferenz, Februar 2010 in Interlaken: Die Schweiz hatte damals den Vorsitz im Ministerkomitee inne und stiess einen bedeutenden Reformprozess an. © EDA, Yoshiko Kusano
Ein neuer Tag hat begonnen. Ich lese die Zeitung, kommentiere einen Beitrag in den sozialen Medien, verschicke Arbeitsunterlagen, gehe in die Kirche, verteile Flugblätter für den Klimaschutz, verbringe Zeit mit meinen Kindern oder beteilige mich an einer Diskussion über die bevorstehenden Wahlen. Hinter diesen kleinen, alltäglichen Handlungen verbergen sich Rechte und Freiheiten, eine Konvention, welche diese schützt, und ein Gericht, an das man sich wenden kann, falls sie nicht eingehalten werden. Dieser Kontrollmechanismus zur Wahrung der Menschenrechte ist für Einzelpersonen zugänglich. Er stellt eine grosse Errungenschaft der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Heute haben rund 830 Millionen Menschen das Recht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg anzurufen.
Die EMRK hat in diesen siebzig Jahren gezeigt, dass sie sich an eine sich verändernde Welt anpassen kann. Entstanden war sie, um eine Wiederholung der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs zu verhindern und Frieden und Gerechtigkeit in Europa zu gewährleisten. Heute erfasst sie z. B. Herausforderungen des digitalen Raums. Auch in Krisenzeiten, wie wir sie heute mit der Corona-Pandemie erleben, steht der Schutz der Menschenrechte für die Schweiz und die übrigen Vertragsstaaten im Vordergrund.
Werte – verankert in der Verfassung, der Aussenpolitik und der Rechtsordnung der Schweiz
Dank ihrer humanitären Tradition spielt die Schweiz eine wichtige Rolle als Botschafterin der Menschenrechte. Um die Universalität dieser Grundrechte – darunter das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Recht auf Freiheit, Sicherheit und auf ein faires Gerichtsverfahren – zu stärken, baut sie auf einen internationalen Rechtsrahmen und die Zusammenarbeit mit Institutionen und Staaten. Die Schweiz wurde 1963 Mitglied des Europarats. Sie hat wie die übrigen 46 Mitgliedstaaten zahlreiche Konventionen ratifiziert, darunter 1974 die wohl bekannteste, die EMRK. Diese Jahreszahl erinnert an ein weiteres wichtiges Ereignis in der Schweiz, an die Einführung des Frauenstimmrechts, die beschleunigt wurde, um die Ratifizierung der Konvention zu ermöglichen.
Er erinnert daran, dass dieses Instrument zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger ein Fundament des politischen Systems der Schweiz bildet, das sich durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszeichnet. Nehmen wir als Beispiel die Bundesverfassung von 1999: Die in den Artikeln 7 bis 33 aufgeführten Grundrechte orientieren sich an der EMRK. Oder unser Rechtssystem: In der Schweiz, aber auch in Europa ist die Konvention eine wichtige Referenz für die Gesetzgebungs- und Justizbehörden.
Die Universalität dieser Menschenrechte ist der Kompass der schweizerischen Aussenpolitik. Diese Priorität wird in den unterschiedlichen Themenbereichen der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 unterstrichen. Für die Schweiz ist die multilaterale Zusammenarbeit der Schlüssel zur Erreichung dieses Ziels.
EMRK – aktuell auch in Coronazeiten und im digitalen Raum
Themen wie Internetsicherheit, Geschlechterfragen, Datenschutz, Menschenrechte in einer Gesundheitskrise wie der heutigen gab es vor siebzig Jahren nicht oder in einer anderen Form. Dank seiner Dynamik ist der Europarat eine wichtige Plattform für die multilaterale Zusammenarbeit, die zur Bewältigung der aktuellen globalen Herausforderungen beitragen kann.
Die COVID-19-Pandemie hat das Thema «Freiheit» auf die Tagesordnung gesetzt: Gerade in Krisenzeiten sind die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit gefährdet. Mit den Sofortmassnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit wie Schliessung von Bars, Homeoffice oder Maskenpflicht werden zum Beispiel die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Für die Mitgliedstaaten des Europarats stellt sich die Herausforderung, die durch eine anhaltende Krisensituation bedingten Massnahmen mit der Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten in Einklang zu bringen.
Wie steht es mit den Menschenrechten im digitalen Raum? Diese beiden Konzepte nebeneinander zu stellen, mag seltsam anmuten, aber sie sind eng miteinander verbunden, insbesondere in der heutigen Situation. Durch das Homeoffice wird unser Leben noch stärker durch Klicks, E-Mails, Videoanrufe getaktet und folglich durch Internetanbieter, Algorithmen und künstliche Intelligenz. «Die EMRK leistet einen zentralen Beitrag, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in der digitalen Welt sicherzustellen. Zudem hilft sie uns, Menschenrechte wie Informations- und Meinungsfreiheit und Datenschutz auch online zu schützen, so z. B. im Bereich der sozialen Medien und beim Einsatz von künstlicher Intelligenz», sagt Botschafter Thomas Schneider, Vertreter für die Schweiz im Lenkungsausschuss für Medien und Informationsgesellschaft des Europarats. Der Europarat hat in den letzten Jahren verschiedene Soft-Law-Instrumente zu diesem Zweck entwickelt. Ihr Vorteil liegt in ihrer Rechtsunverbindlichkeit, die eine raschere Weiterentwicklung und Anpassung an neue Verhältnisse zulässt. Die Schweiz wirkt im Rahmen ihres multilateralen Engagements darauf hin, die Rahmenbedingungen für eine globale Digitalisierungspolitik zu schaffen, die den Zugang und die Nutzung von Daten für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung fördert.
Die Schweiz und der Europarat
Das 70-jährige Jubiläum der EMRK bietet Gelegenheit für einen Rückblick auf das Engagement der Schweiz im Europarat. Die Schweiz kann im Rahmen dieser Organisation, die eine Plattform des Austauschs ist, gleichberechtigt mit den anderen Mitgliedstaaten einen Beitrag leisten.
Zu den Grundwerten des Europarats gehören der Schutz der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die auch in der Bundesverfassung verankert sind. Seit ihrem Beitritt im Jahr 1963 ist die Schweiz ein aktives Mitglied im Europarat. So hat sie 2010 während ihres Europaratsvorsitzes den wichtigen Reformprozess des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wiederbelebt, der nach der Konferenz in Interlaken vom 18. und 19. Februar 2010 «Interlaken-Prozess» genannt wird.
Ministertreffen des Europarats: Bundesrat Ignazio Cassis unterstreicht die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen den Staaten
«In dieser besonderen Zeit ist eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren Staaten die einzige angemessene Antwort auf die aktuellen Probleme», sagte Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich der 130. Jahrestagung des Ministerkomitees des Europarats, die unter dem Vorsitz Griechenlands stattfand. Dabei verabschiedeten die Aussenministerinnen und Aussenminister die «Erklärung von Athen». Sie bekräftigen darin ihre Verpflichtung, wirksam auf die Gesundheitskrise zu reagieren und gleichzeitig die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit, die Grundwerte des Europarats, zu achten. Im Anschluss daran trafen führende Vertreterinnen und Vertreter des Europarats zusammen, um den 70. Jahrestag der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu feiern.